Sklaven der Flamme
Dann streifte er wieder den Umhang über die Schultern und zog die Kapuze tief ins Gesicht.
Danach irrte er eine Zeitlang durch die Gassen, weil sie nicht beschildert waren. Als er endlich eine Straßenbezeichnung entdeckte, merkte er, daß er nicht weit von seinem Ziel entfernt war.
Er erreichte das gemauerte Haus. In der schmalen Gasse, die daran vorbeiführte, hörte er einen dumpfen Aufschlag und gleich darauf eine Mädchenstimme: »Ja. Genau so. Aber wenn du nicht genau tust, was ich dir sage, brichst du dir die Knochen.«
Er warf einen Blick in die Gasse. Alter stand mit wehender weißer Mähne da und sah zum Dach hinauf. »Los, Tel«, rief sie. »Du bist der nächste.«
Etwas kam vom Dach heruntergeschossen, rollte zu ihren Füßen ab und richtete sich dann auf. Der Junge fuhr sich mit den Fingern durch das dunkle Haar. »Puh!« sagte er und schüttelte den Kopf. »Puh!«
»Alles in Ordnung?« fragte Alter. »Du hast dir doch nichts verzerrt, oder?«
»Nein«, sagte er. »Alles noch an seinem Platz.« Er sah zum Dach hinauf, das zwei Stockwerke höher lag.
»Jetzt du, Let«, rief Alter.
»Es ist so hoch«, hörte man eine kindliche Stimme.
»Beeil dich.« Alters Stimme war befehlend geworden. »Ich zähle bis drei. Und vergiß nicht – Knie hoch, Kinn nach unten und sofort abrollen. Eins, zwei, drei!« Eine kurze Atempause, dann schoß das nächste Bündel nach unten, zappelte einen Moment lang auf dem Boden und kam hoch. Dieser Junge war blond und etwas schmächtiger als sein Vorgänger.
»He, Kinder!« rief Jon.
Sie drehten sich um.
Jon sah den kleineren Jungen an. Er war noch feingliedriger als das Mädchen. Jon zweifelte nicht, daß er den Prinzen vor sich hatte. »Was macht ihr hier?« fragte Jon. »Besonders Sie, Hoheit?«
Die drei Kinder zuckten zusammen.
Einen Moment lang hatte er den Eindruck, daß sie ihm entwischen wollten, und nach dem, was er eben gesehen hatte, war er nicht sicher, ob er sie einholen konnte. So sagte er: »Die Herzogin Petra hat mich geschickt, wenn ihr es genau wissen wollt. Wie habt ihr diesen Sprung geschafft?«
Nur seine Hoheit, der Prinz, zeigte sich erleichtert.
»Und ihr wißt sicher, daß ihr hier unten nicht spielen dürft?«
»Wir sollten eigentlich oben im Haus bleiben«, erklärte Tel. »Aber er –« Er deutete auf den zerlumpten Prinzen – »wurde zappelig, und da erzählten wir ihm von unseren Tricks. Dann gingen wir aufs Dach hinauf, und Alter sagte, sie wüßte, wie wir ins Freie könnten.«
»Kannst du sie auch wieder nach oben bringen?« fragte Jon.
»Klar. Wenn wir hier hochklettern …«
»Moment.« Jon hob die Hand. »Wir gehen jetzt schön durch die Tür ins Haus und erklären dem Verantwortlichen alles. Keine Angst. Niemand wird schimpfen.«
»Sie wollen mit Geryn reden?« fragte Alter.
»So heißt er wohl.« Sie gingen auf die Wirtschaft zu. »Sagt mal, wie ist dieser Geryn eigentlich?« erkundigte sich Jon.
»Ein komischer alter Mann«, entgegnete Alter. »Er spricht immer zu sich. Aber er ist klug.«
Spricht zu sich, überlegte Jon und nickte vor sich hin. Als sie zum Eingang kamen, streifte Jon den Umhang über den Kopf und trat ins Licht. Ein paar Leute an der Bar drehten sich um, und als sie die Kinder erblickten, warfen sie einander bedeutungsvolle Blicke zu.
»Geryn ist wahrscheinlich oben«, sagte Alter. Sie gingen in den ersten Stock hinauf. Jon ließ die Kinder vorauslaufen, als sie den dunklen Korridor betraten. Erst als sie die Tür zu Geryns Zimmer öffneten und helles Licht herausströmte, gesellte er sich zu ihnen.
»Was gibt es?« fragte Geryn scharf. »Rasch, was gibt es?« Er hatte vor seinem einfachen Holzschreibtisch gesessen und wirbelte nun herum. Der Hüne stand am Fenster. Geryns Blicke glitten nervös zu ihm und dann wieder zu den Kindern. Schließlich sagte er: »Weshalb seid ihr hier? Und wer ist der da? Was wollen Sie?«
»Ich komme von der Herzogin Petra«, sagte Jon. »Ich soll Let zum Dschungelvolk bringen.«
»Ja«, sagte der alte Mann. »Ja.« Dann verzerrte sich plötzlich sein Gesicht, als versuche er sich an etwas zu erinnern. Er schüttelte den Kopf. »Ja.« Abrupt stand er auf. »Gut, nehmen Sie ihn. Ich habe meine Arbeit getan, jawohl. Ich habe meine Arbeit getan. Mit jeder Minute, die er hierbleibt, vergrößert sich die Gefahr, meine Freunde.«
Der Hüne wandte sich vom Fenster ab. »Ich soll Sie begleiten. Mein Name ist Arkor.«
Jon runzelte die Stirn. Zum erstenmal fiel ihm auf,
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