Sklavin des Herzens
stieß und ihr Gleichgewicht verlor. Sie hatte das verdammte Ding vergessen, das direkt neben dem Beckenrand aufgestellt war. Sie fiel mit dem Rücken darauf, und Mara stand über ihr, bevor sie sich erheben konnte. Nun war es zu spät, zu schreien oder irgend etwas zu tun. Chantelle war vor Entsetzen gelähmt und unfähig zu atmen oder sich zu rühren, während der hoch erhobene Dolch sich anschickte, auf ihren Hals niederzusausen. Es war eine Wiederholung jener anderen Nacht, nur hatte sich damals Jamils Körper zwischen ihr und dem Tod befunden. Jamil hätte gewußt, was zu tun sei. Er hätte …
In der letzten Sekunde fiel es Chantelle ein, was Jamil getan hatte, und sie rollte sich zur Seite, direkt in Maras Knie. Auch diesmal bedeutete das die Rettung. Die Angreiferin kippte nach vorn, und die Klinge verfehlte ihr Ziel. Als Chantelle auf dem Boden aufprallte, hörte sie einen dumpfen Schlag und auf der anderen Seite der Bank ein Klatschen des Wassers. Doch sie verzichtete darauf zu beobachten, wie schnell Mara aus dem Pool klettern konnte. Wie ein Pfeil schoß sie zur Tür und aus dem Schwimmbad. »Kadar!« rief sie, und er trat ihr sofort in den Weg, so daß sie mit ihm zusammenstieß. Er wollte sie stützen, doch sie riß sich los und fragte mit schriller Stimme: »Wo, zum Teufel, waren Sie?«
»Hier, Lalla«, erwiderte er in gekränktem Ton. »Wo sonst sollte ich sein?«
»Dann hat sie gelogen? Mein Gott, ich hätte … nein, es ist nicht mehr wichtig.« Chantelle packte seinen Arm, ihre Furcht war noch nicht verflogen. »Es war Mara, nicht Noura. Sie versuchte gerade, mich zu töten. Sie gab zu, mir Gift verabreicht zu haben, weil ich ihr Gespräch belauscht hatte.« Als Kadar sie nur sprachlos anstarrte, rief sie: »Tun Sie etwas! Sie ist noch im Schwimmbad, und sie hat einen Dolch!«
Er schob sie zur Seite und ging auf die Tür zu, die Chantelle weit offen gelassen hatte. Als er in die Schwimmhalle schlüpfte, hätte Chantelle in die entgegengesetzte Richtung fliehen sollen, doch sie folgte Kadar, teilweise aus Neugierde und teilweise, um Maras Festnahme zu sehen und den letzten Rest von Furcht loszuwerden.
Gleich bei der Tür blieb sie stehen. Kadar beugte sich über Mara, die am Rand des Beckens lag. Sie rührte sich nicht, und rosafarbenes Wasser rann ihr über die Stirn und das Gesicht und bildete eine Pfütze unter ihrem Kopf.
Kadar blickte auf und sagte mit ruhiger Stimme: »Sie ist tot, Lalla.«
Chantelle schaute auf das rosa Wasser, und schließlich mußte sie sich übergeben. Im nächsten Augenblick wurde sie hochgehoben, und ihr Kopf ruhte an Kadars Schulter.
»O Gott!« schrie sie außer sich. »Wenn ich nicht so feige gewesen wäre, hätte ich gesehen, daß sie aus dem Wasser nicht mehr auftauchte. Ich hätte sie herausziehen können, ehe sie …«
»Das hätte keinen Unterschied gemacht, Lalla. Sie krachte mit dem Kopf auf die Steinfliesen. Sie war schon tot, als sie ins Wasser fiel.«
»Das war meine Schuld. Ich brachte sie zu Fall …«
»Warum?«
»Warum?« Sie sah auf und erschrak. »Andernfalls hätte sie mich erstochen.«
»Warum machen Sie sich dann Vorwürfe, wenn es keinen Grund dafür gibt?«
»Es ist einfach nicht fair. Sie war ein Opfer, Kadar, von Anfang an. Sie wurde mißbraucht, verunglimpft und wieder mißbraucht. Sie hätte Hilfe benötigt, Fürsorge, Verständnis. Statt dessen …« Chantelle schwieg lange, ehe sie leise fortfuhr: »Ich versuchte ihr gegenüber zu rechtfertigen, wie Jamil sie behandelte, aber es kann nicht gerechtfertigt werden, nicht wahr? Er ist feinfühlig und scharfsichtig – jedenfalls dachte ich das. Warum konnte er nicht erkennen, daß sie ihre Schwäche haßte – und ihn, weil er sie ausbeutete?«
»Hat sie deshalb versucht, ihn zu töten?«
Chantelle vermochte nur zu nicken. Sie weinte jetzt rückhaltlos und merkte kaum, wie Kadar sie wegführte.
44
»Nun, da die Geldquelle versiegt ist, stehen die Informanten vor dem Tor Schlange«, sagte Jamil zu Derek. »Es wird nicht lange dauern, und wir haben auch noch den letzten Mann, der in die Sache verwickelt ist.«
Er war spät in der vorangegangenen Nacht in den Palast zurückgekehrt, hatte aber am Hafen schon gehört, daß seine Reise umsonst gewesen war. Seine Sehnsucht nach Sheelah hatte ihn heimgetrieben. Er hatte vorgehabt, nur eine Nacht zu bleiben und dann nach Tripolis aufzubrechen, wo sich Selim angeblich aufhielt, nachdem er Istanbul verlassen hatte. Nun wußte Jamil, wie
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