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Skorpion

Skorpion

Titel: Skorpion Kostenlos Bücher Online Lesen
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zurückkehrte, um den Vertrag anzuerkennen, diesmal vollständig, und alle gingen wie auf rohen Eiern. Damals – Carl erinnerte sich vage, dass ihn das nicht sonderlich interessiert hatte – war Ortiz ein gerade rekrutierter Polizeiberater gewesen, frisch aus einer politischen Karriere in den Rimstaaten und noch keine bedeutendere Gestalt in der COLIN-Hierarchie. Die Details waren verblasst, aber Carl erinnerte sich an ergrautes Haar und eine sonnengebräunte Tänzergestalt mit schmalen Hüften, die das wahre Alter des Mannes – etwas über fünfzig – Lügen gestraft hatte. Leicht schräg stehende, ernsthafte braune Augen, die vielleicht auf Filipino-Vorfahren hinwiesen oder einfach nur bioskulpturiert waren, um den Wählern eben das einzureden. Ein gutes Lächeln.
    Damals war Carl seinerseits damit beschäftigt gewesen, die Annehmlichkeiten seiner neu zurückgewonnenen Anonymität zu genießen. Das Interesse der Medien an seiner Rettung und Rückkehr vom Mars und der Felipe Souza war im vergangenen Jahr erlahmt, sehr zu seiner Erleichterung; weil es an Versuchen seinerseits völlig gemangelt hatte, das Feuer des Interesses neu zu schüren, war es der Berühmtheitsmaschinerie langweilig geworden, und sie hatte sich weiterbewegt. Gewiss, er war lebend und geistig gesund von einem albtraumhaften Systemzusammenbruch im Raum zurückgekehrt, aber was hatte er in letzter Zeit sonst getan? UNGLA war fest verriegelt und verrammelt, bürokratenhaft langweilig, nicht gerade das strahlend zubereitete Medienspektakel, das den Sendern so gefiel. Die hoch interessanten Sachen sollten erst noch kommen. In der Zwischenzeit trieb sich irgendein heranwachsender Sohn einer afrikanischen Hoheit in der Euro-Szene herum, zeigte seine erweiterten Fähigkeiten an einem College in Cambridge und sein pechschwarzes, wie poliert wirkendes Äußeres in den DJ-Votional-Clubs im Westen Londons. Die Bannister-Familie richtete sich, unter einiger Verbitterung, in ihre Staatsbürgerschaft in der Union ein. Ein thailändischer Experiastar wurde verheiratet. Und so weiter. Das Auge der Medien, das niemals blinzelte, richtete sich woandershin, und Carl spürte seine Abwesenheit wie die jähe Kühle des Schattens vor der Marssonne.
    Sie gingen zur Straße hinunter. Die Kälte drang durch das dünne Material der S(t)igma-Jacke, die er sich in Florida erschnorrt hatte.
    Ortiz erwartete sie in einem schlichten schwarzen Mantel auf der anderen Seite der Durchfahrtsstraße, an die Flanke einer COLIN-Limousine gelehnt. Er nippte an einem Kaffee von einem Kiosk weiter oben an der Straße. Carl sah das gelbschwarze, wiederholt auftauchende Logo, eine schwach erkennbare Holovorführung in der strahlenden Winterluft des Markts, und noch einmal in eingestanzter Mikroschrift auf dem Styropor in Ortiz’ Hand. Dampf stieg sich kräuselnd aus dem Becher und traf auf den frostigen Atem des Mannes, als er den Kaffee an die Lippen hob. Ein Leibwächter stand unauffällig in der Nähe, die Hände leicht gekrümmt, und musterte die Fassade aus Augen, die von Gläsern beschattet waren.
    Ortiz entdeckte sie und stellte seinen Kaffee lässig auf das Dach der Limousine neben sich. Als Carl näher kam, trat er einen Schritt vor, um ihn zu begrüßen, und streckte die Hand aus. Kein Zusammenzucken, kein Anzeichen für das innere Stählen, an das Carl gewöhnt war, wenn er jemandem die Hand gab, der wusste, was er war. Stattdessen zeigte sich auf Ortiz’ hagerem, bronzegetöntem Gesicht ein lockeres Grinsen, das Jahre von seiner ansonsten düsteren Miene wegschälte.
    »Mr Marsalis. Schön, Sie wiederzusehen. Es ist schon eine Weile her, ich weiß nicht, ob Sie sich an mich von Brüssel her erinnern.«
    »Frühjahr ’03.« Carl verbarg seine Überraschung. »Ja, ich erinnere mich.«
    Ortiz lächelte gequält. »Was für ein völliger Schlamassel das war, hm? Zwei Tagesordnungen, Welten voneinander entfernt und stetig in verschiedene Richtungen davondampfend. Schwer zu glauben, dass wir uns auch nur die Mühe gemacht haben zu reden.«
    Carl zuckte mit den Schultern. »Reden ist immer der einfache Teil. Sieht gut aus, kostet nichts.«
    »Ja, sehr wahr.« Mit der glatten Geschmeidigkeit des Karrierepolitikers konzentrierte sich Ortiz auf etwas anderes. »Ms Ertekin. Hoffentlich vergeben Sie mir das Eindringen. Tom Norton hat mir gesagt, dass Sie kommen, aber ich hatte das Gefühl, angesichts der… Unannehmlichkeiten… könnten wir ebenso gut eine Eskorte zur Verfügung

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