Skorpion
irgendwas zu bedeuten hätte.«
Er winkte. »Nun ja, ich habe nicht geplant, das vorzuschlagen.«
Was ihm ein dünnes, humorloses Lächeln einbrachte. »Ja. Die Sache ist die, Marsalis.« Sie setzte sich ins Sofa zurück. »Ich bin eine Bonobo.«
Er sah sie verblüfft an. »Nein, bist du nicht, verdammt!«
»Nein? Was hast du denn geglaubt – dass wir alle in Saris gehüllte Hausfrauen und Geisha-Häschen sind? Oder vielleicht hast du das kichernde Modell ›Nutte‹ erwartet, wie auf dieser blöden verdammten Hurenranch unten in Texas?«
»Nein, aber…«
»Ich bin keine volle Bonobo. Meine Mutter ist das hundertprozentige Exemplar, sie hat als Begleiterin für eine Agentur in Panama gearbeitet und ist meinem Vater begegnet, als er da unten eine Angeltour unternommen hat. Er hat sie rausgeschmuggelt.«
»Dann bist du keine Bonobo.«
»Die eine Hälfte von mir ja«, sagte sie trotzig, das Kinn vorgeschoben, den Blick mit dem seinen verschränkt. »Lies deinen Jacobsen. Ererbte Merkmale werden noch für Generationen in der Zukunft unbekannte Faktoren darstellen. Zitat Ende.«
Etwas geschah im Raum. Eine dichte, betäubende Stille hockte hinter ihrer Stimme und rauschte herein wie eine Flut, nachdem sie ihren Satz beendet hatte.
»Weiß es Coyle?«, fragte er, um irgendwie das Schweigen zu brechen.
»Was meinst du denn?«
Und wiederum Stille.
Schließlich kringelte sich ihr Mundwinkel. »Ich weiß es nicht«, sagte sie langsam. »Ich sehe, was ich bin, wie ich auf Dinge reagiere, und dann sehe ich sie, und ich weiß es einfach nicht. Mein alter Herr sagt mir, sie habe sich dort unten nie richtig angepasst, sei nie so unterwürfig gewesen, wie die Bonobos doch eigentlich sein sollten. Er sagt, dass sie anders als all die anderen gewesen sei und dass er sie deswegen ausgewählt habe. Ich weiß nicht, ob ich diesen Scheißdreck glauben oder besser rosig gefärbter, romantischer Nostalgie zuschreiben soll.«
Carl dachte an die Bonobos zurück, die er in den Transitcamps in Kuwait und im Irak gesehen hatte, an diejenigen, die man nicht von R & R in Thailand und Sri Lanka wegbekam. Mit einigen hatte er gesprochen, eine oder zwei gebumst. Und dann wieder in London, Zoolys Freundin aus dem Club, Krystalayna, die stets behauptet hatte, sie wäre eine, ihm jedoch nie einen Beweis dafür geliefert hatte, dass es etwas anderes als fantastischer Scheißdreck von einer Fanseite war.
»Ich glaube«, sagte er vorsichtig, »dass du Unterwerfung nicht mit Mütterlichkeit oder Gewaltlosigkeit durcheinander bringen willst. Die meisten der Bonobos, denen ich je begegnet bin, wussten, wie sie das bekamen, was sie haben wollten, genauso wie alle anderen auch.«
»Ja.« Die Gewalttätigkeit in ihrer Stimme brodelte immer heftiger. »Ich weiß selbst, wie man verdammt gut einen blasen kann. Findest du nicht?«
»Das habe ich nicht gemeint.«
»Du weißt, wie es sich anfühlt, Marsalis? Überprüfst beständig deine Handlungen an irgendeiner Theorie, wie du dich eigentlich verhalten solltest? Fragst dich jeden Tag bei der Arbeit, jedes Mal, wenn du einen Kompromiss eingehst, jedes Mal, wenn du reflexartig einen deiner männlichen Kollegen unterstützt, jedes Mal fragst du dich, ob da dein Gencode spricht?« Ein säuerliches Lächeln in Carls Richtung. »Jedes Mal, wenn du bumst, den Knaben, mit dem du bumsen willst, selbst die Art und Weise, wie du bumst, alles, was du tust, alles, was du tun willst, was du willst, das man dir antut. Du weißt, wie es sich anfühlt, all das in Frage zu stellen, die ganze Zeit über?«
Er nickte. »Natürlich weiß ich das. Du hast so ziemlich genau beschrieben, wo ich lebe.«
»Ich bin eine gute Polizistin«, sagte sie drängend. »Andernfalls überlebt man bei RimSich nicht. Ich habe im Rahmen meiner Pflichten drei Männer erschossen. Ich habe deswegen keine schlaflosen Nächte. Ich meine, damals wurde mir übel, ich ging wie alle anderen auch durch die Therapie, aber anschließend war ich wieder in Ordnung. Ich habe Empfehlungen bekommen, bin früh zu besonderen Fällen versetzt worden, habe…«
»Hör auf damit, Rovayo!« Er hielt eine Hand hoch, überrascht davon, wie sehr ihn die jähe Spiegelung seines jüngeren Selbst in ihr erschöpfte. »Ich habe dir gesagt, ich weiß es. Aber du packst das am falschen Ende an. Du musst dich nicht irgendwem gegenüber rechtfertigen, außer dir selbst. Am Ende ist das alles, was zählt.«
Wiederum zeigte sie dieses harte, humorlose Lächeln.
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