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Skorpion

Skorpion

Titel: Skorpion Kostenlos Bücher Online Lesen
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wenig, beantwortete Fragen noch weniger, saß meist eingehüllt in das eigene Schweigen da und starrte von jedem Aussichtspunkt, den es geben mochte, hinaus aufs Meer. Es war, als hätte er ebenfalls nie zuvor den Ozean gesehen, und eine Weile lang verlieh dieser Umstand Scott das warme Gefühl einer Verwandtschaft mit dem anderen Mann. Er glaubte, das könne bedeuten, er sei ein würdigerer Jünger.
    Natürlich wusste er, dass er Merrin in Ruhe zu lassen hatte; in dieser Hinsicht, wenn schon in sonst nichts, war Carmen eindeutig gewesen. Aber in den engen Korridoren und Vorratsräumen von Daskeen Azul erhaschte er hin und wieder das Auge des Fremden, und der Blick, den er auffing, jagte ihm einen Schauer den Rücken hinunter. Und er erzählte Carmen nie, wagte es nicht, wie er einmal bei einem von Merrins Ozeanwachen hinter ihm aufgetaucht war und so ruhig und respektvoll, wie es ihm nur möglich gewesen war, gesagt hatte: Ja, so hat er mich auch gepackt, als ich ihn zum ersten Mal gesehen habe. Erschien einfach unmöglich, so viel Wasser an einem Ort. Und Merrin war zu ihm herumgefahren wie ein Schläger in einer Bar, dessen Drink er gerade verschüttet hatte, nur schneller, so unmenschlich viel schneller. Und er hatte nichts gesagt, überhaupt nichts, sondern ihn einfach nur mit derselben ausdrucklosen Unfreundlichkeit angefunkelt, die Nocera manchmal gezeigt hatte, genauso und auch wieder nicht, weil diesmal in den Augen etwas so Tiefes, so Kaltes, so Fernes gelegen hatte, dass Scott, was er auch sonst von dem Mann glauben mochte, eines ganz sicher wusste: dass nämlich das, was Carmen Ren ihm gesagt hatte, die Wahrheit war, dass Merrin wirklich über einen Abgrund hierhergekommen war, den nichts Menschliches ungeschützt überqueren konnte. Er hatte in jene Augen geschaut, knappe Sekunden lang, und er hatte die Kälte gespürt, die aus ihnen über ihn hinweggeweht war, als ob Merrins Blick ein offenes Tor in den Abgrund gewesen wäre, den er überquert hatte, um zur Erde zu gelangen.
    Scott war zusammengezuckt und hatte sich abgewandt, halb ausformulierte Entschuldigungen murmelnd.
    Er bewegt sich wie eine Schlange.
    Im Weggehen hatte er Merrin etwas sagen hören, das sich angehört hatte wie Wiederkäuer, aber er wusste ja, dass es dieses Wort nicht sein konnte, und versuchte, die Begegnung aus der Erinnerung zu verbannen. Doch die Art und Weise, wie der Fremde zu ihm herumgefahren war, die peitschenartige Schnelligkeit sowie die Gehässigkeit, die in der Bewegung gelegen hatte, wollten nicht aus seinem Gedächtnis verschwinden. Er bewegt sich wie eine Schlange, strömte es durch seine Gedanken wie tröpfelndes Gift. Er konnte es nicht mit dem in Einklang bringen, was er glauben wollte.
    Das Jüngste Gericht bedeutet, was es besagt, hatte Pastor William sie stets gewarnt. Ihr glaubt, der Herr wird kommen wie ein UN-Liberaler mit blutendem Herzen und dafür sorgen, dass wir alle einander lieben? Nein, er wird kommen in Gerechtigkeit und Rache für jene, die seine Gaben geschändet haben. Wie es in der Bibel selbst heißt, und er hatte die große, schwarze Bibel mit dem weichen Einband in die Höhe gehalten: Meint nicht, dass ich gekommen sei, Frieden auf die Erde zu bringen; ich bin nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern das Schwert. Ja, wenn der Herr kommt, wird er voller Zorn sein, und jene, die nicht in Gerechtigkeit gewandelt sind, werden das Entsetzen seines Gerichts kennenlernen.
    Entsetzen, das konnte Scott akzeptieren, verstehen, aber sollte der Erlöser der Menschheit sich wirklich wie eine Schlange bewegen?
    Fragen und Zweifel, die sich in seinem Kopf hin und her wälzten, und Carmen, die sich zurückzog, jetzt jedes Mal kühler, wenn sie zusammen lagen, die von ihm wegtrieb. Vor kurzem hatte es Momente gegeben, da hatte sie ihn einfach nicht haben wollen, hatte ihn abgeschüttelt, Ausreden vorgebracht, die ihn immer weniger überzeugt hatten. Er sah schon die Zeit kommen, da…
    Und da sah er stattdessen den schwarzen Mann kommen.
     
    »Du hältst dich da raus!«, fauchte ihn Carmen an, als sie sich die Kleider überwarf. »Du rührst keinen Finger, bis ich dich rufe, klar?«
    In der Tür der winzigen Wohnung im Unterdeck drehte sie sich um und ließ ihre Stimme mit einer Anstrengung sanfter klingen, die er ihr vom Gesicht ablesen konnte.
    »Tut mir leid, Scott. Ist bloß, du weißt schon, wie schwer das für uns alle ist. Ich kümmere mich um die Sache. Alles wird gut werden.«
    Also

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