Skorpion
fühlt sich einfach nicht richtig an. Bist du dir ganz sicher?«
»Ich bin mir mehr als sicher, Carl. Ich bin mathematisch exakt. Tom Nortons Verhalten ist so nahe am perfekten Bürger, wie bei einem Menschen überhaupt möglich. Die schlimmste Anschuldigung, die ich finden kann, ist eine versteckte Andeutung in den Daten, dass sein Bruder ihm vielleicht dabei geholfen haben könnte, seinen Job bei COLIN zu bekommen. Aber das ist Gerede über ein rechtes Wort ins rechte Ohr, keine direkte Vetternwirtschaft. Und es liegt Jahre zurück, kein Hinweis auf fortwährende Einflussnahme.«
»Du bist dir da ganz sicher?«
»Ja, ich bin mir sicher. Eigentlich deuten die Daten sogar darauf hin, dass er und sein Bruder sich nicht allzu gut verstehen. Bei gleichgeschlechtlichen Nachkommen herrscht oft Rivalität, und in diesem Fall scheinen die Nortons die ihre dadurch gelöst zu haben, dass sie an entgegengesetzten Enden des Kontinents leben.«
Carl starrte das Hotelfenster an. Draußen machte sich der Abend bereits daran, den Himmel zu verfinstern. Sein Spiegelbild starrte zurück, vereinnahmte ihn. Er legte einen Ellbogen an die Scheibe und stützte sich dagegen, den Kopf auf den Unterarm gelegt, die Finger fuhren ihm durchs Haar. Es war etwas, das Marisol immer getan…
»Und das Attentat in New York? Die Tatsache, dass er die einzige Person war, die wusste, wo ich schlief?«
»Zufall«, meinte Matthew spröde.
Er sah seinem Spiegelbild in der Scheibe in die Augen. »Na ja, von meinem Standpunkt aus fühlte es sich nicht eben danach an.«
»Ist bei Zufall immer so. Es liegt nicht in der genetischen Polung des Menschen, ihn zu akzeptieren. Und als Dreizehner besitzt du deine eigene verstärkte Neigung zur Paranoia, um damit ebenso gut zurechtzukommen.«
Carl verzog das Gesicht. »Ist dir nie in den Sinn gekommen, Matt, dass…«
»Matthew.«
»Ja, Matthew. Tut mir leid. Ist dir nie in den Sinn gekommen, dass Paranoia für einen Dreizehner, für jemanden, der mit Gruppendynamik nicht gut zurechtkommt, vielleicht ein ziemlich nützlicher Charakterzug sein könnte?«
»Ja, und evolutionär selektiv ebenfalls.« Der oberlehrerhafte Tonfall des Hackers hatte sich nicht verändert. Das tat er nie, oberlehrerhaft war die Weise, wie Matthew gepolt war. »Aber das ist nicht der Punkt. Menschliche Intuition ist irreführend, weil sie nicht immer konsistent ist. Sie ist nicht unbedingt eine gute Ausrüstung für die Umgebung, in der wir jetzt leben, oder die Mathematik, die ihr zu Grunde liegt. Wenn sie mathematische Formen widerspiegelt, ist es eindeutig angebracht für eine inhärente Fähigkeit, diese zu Grunde liegende Mathematik auch zu erkennen.«
»Aber nicht, wenn sie im Widerspruch dazu steht.« Carl presste die Stirn an die Scheibe. Diese Diskussion hatten sie früher schon geführt, etliche Male. »Nicht wahr?«
»Nicht, wenn sie im Widerspruch dazu steht«, stimmte Matthew zu. »Wenn sie im Widerspruch dazu steht, bleibt die Mathematik korrekt. Die Intuition deutet lediglich auf eine entwickelte Erkenntnisfähigkeit hin, wann man mit einer veränderten oder sich verändernden Umgebung nicht mehr übereinstimmt.«
»Also ist Norton sauber?«
»Norton ist sauber.«
Carl kehrte seinem Spiegelbild den Rücken zu. Lehnte sich ans Fenster und sah sich im Zimmer um, das ihn einsperrte. Er erkannte den Reflex wieder – die Suche nach Ausgängen. Dumm, da war die verdammte Tür, gleich vor ihm.
Also benutze sie, Blödmann.
»Hat sie dich je beunruhigt?«, fragte er ins Telefon.
»Hat mich was beunruhigt, Carl?«
»Die ganze Sache.« Er gestikulierte, als ob Matthew ihn sehen könnte. »Jacobsen, die verdammten Verträge, die Behörde und die Durchsetzung. Sich lizensieren zu lassen wie eine verdammte gefährliche Substanz!«
»In der Hinsicht, dass Aufzeichnungen der persönlichen Identifikation eine Form sozialer Lizenz sind, sind wir alle lizensiert, normale Menschen und Varianten gleichermaßen. Wenn der Typus der Lizensierung einen Spiegel gewisser Unterschiede im sozialen Risiko darstellt, ist das so was Schlimmes?«
Carl seufzte. »Okay, schon gut. Ich frage die falsche Person.«
»In welcher Hinsicht?«
»Na ja, nicht beleidigt sein, aber du bist ein Freak. Dein ganzes Profil ist post-autistisch. Wir reden hier von einer emotionalen Angelegenheit.«
»Meine emotionale Bandbreite ist psycho-chemisch ausbalanciert und erweitert worden.«
»Ja, von einem N-Dschinn. Entschuldige, Matthew, ich weiß
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