Skorpione im eigenen Saft
woher denn, Pater. Ich möchte einfach nur wieder ins Leben zurück und die verlorene Zeit aufholen; lernen, erwachsen zu sein, ein erfolgreicher Mann sein, vielleicht eine Familie gründen … Außerdem ist Franco gerade gestorben … Das alles gehört der Vergangenheit an … Ich habe nicht die geringste Lust, mir den Rest meines Lebens wegen dieses Schufts kaputtzumachen. Ich schäme mich sogar für ihn, weil er zu meiner Familie gehört!«
»Diese positiven Gedanken ehren dich zutiefst, und sie zeugen von ausgesprochener Klugheit! Ich für meinen Teil habe mich von den politischen Eskapaden schon vor Jahren verabschiedet und mich ganz dem priesterlichen Leben und deiner Pflege verschrieben. Auch wenn mich keine Schuld trifft, habe ich mich für dich verantwortlich gefühlt, vor allem seit deine fromme Mutter nicht mehr da ist.«
»Nochmals vielen Dank, Pater! Erlauben Sie mir, Ihnen die Hand zu küssen.«
»Um Gottes willen! Nein! Ich bin es, der dir … die Füße küssen müsste. Was bist du nur für ein sanftmütiger und nachsichtiger Mensch.«
Ich beschloss, das Ganze in eine andere Richtung zu lenken, nicht dass er noch scharf auf mich würde nach dem ganzen Gefasel über das Küssen.
»Eins wüsste ich allerdings gerne; was ist aus Onkel Patxi geworden?«
»Das weiß ich nicht genau. Nicht besser als alle anderen. Nach dieser Schandtat wollte ich nichts mehr mit ihm zu tun haben. Er ist ein paar Tage später aus Tolosa verschwunden … Wie es scheint, ist er noch immer bei der ETA, beim militärischen Arm, die Polizei hat ihn auf der Fahndungsliste … Er versteckt sich irgendwo, wahrscheinlich in Südfrankreich, und führt dieses wahnsinnige Leben aus Hass und Blutvergießen.«
»Umso schlimmer für ihn. Wer Gewalt sät, wird Gewalt ernten.«
»Amen.«
»Pater …«
»Was, mein Sohn?«
»Als ich plötzlich aufgewacht bin«, Crescencio schluckte schwer, ich genoss es, »da habe ich ein weißes Licht gesehen und irgendwie eine große Freude verspürt«, er starrte auf den Kiesweg, »ein Wohlgefühl … Ich hoffe, es ist keine Gotteslästerung, aber ich glaube, es war Gottes Gnade … Ich glaube, dass Jesus ein Wunder an mir vollbracht hat, damit ich erwache … Und dass auch ich mein Leben ihm widmen sollte … In mir ist ein starker Glaube erwacht; es ist unbeschreiblich …«
Der Lüstling seufzte erleichtert. Er nahm meine Hand. Vorsicht war geboten.
23
Ich verließ Loyola Ende 1976, nachdem ich Crescencio versprochen hatte, mit ihm in Kontakt zu bleiben. Er riet mir, meinen Glauben zu vertiefen, und bot mir seine Unterstützung an, falls ich ein religiöses Leben erproben wollte, nachdem ich ein wenig Lebenserfahrung gesammelt hatte.
Das war kein schlechter Trumpf, den er da im Ärmel hätte.
Ich kehrte nach Alzo zurück. Das Dorf hatte sich in all den Jahren kaum verändert. Meine Ankunft sorgte anfangs bei den Bewohnern für einen gewissen Aufruhr, und sie schwirrten um mich herum, doch schnell wurde ich Teil des eintönigen Dorfalltags, und bald ließen sie mich in Ruhe.
Auf dem einsamen Hof und dank der Pension für die Tapferkeitsauszeichnung (die abgesehen davon, dass sie jahrelang angespart worden war, sich mit den Zinsen in ein kleines Vermögen verwandelt hatte) hatte ich die nötige Ruhe, um nachzudenken, Informationen zu sammeln, Pläne zu schmieden und mit der geringen Lebenserfahrung eines achtzehnjährigen Jungen wie ein Einunddreißigjähriger leben zu lernen.
Da ich wusste, wo sich Crescencio und Patxi befanden, begann ich mit der Suche nach den anderen.
Drei waren noch am Leben.
Der aus Arceniega, Juan Carlos Fernández de La Polea alias Alicate, war wie Patxi Iramendi bei der ETA geblieben; er war einer von den wenigen Aktivisten aus Álava gewesen. Die Guardia Civil hatte ihn 1971 verhaftet. Er war 1973 an einem Schlaganfall im Gefängnis von Basauri gestorben. Wie schade.
Den anderen war es um einiges besser ergangen.
Josean Aulkitxo aus Bilbao war Profifußballer geworden und absolvierte mit dreiunddreißig seine letzte Spielzeit als Mittelstürmer bei Athletic Bilbao.
Die einzige Frau, Blanca Eresi, war eine berühmte Opernsängerin. Das Datum ihres nächsten Konzerts im Liceo in Barcelona stand bereits fest. Sie sang die Mimi in einer Inszenierung von Puccinis La Boheme.
Und der fünfte, den ich mir vorknöpfen würde, war ein wichtiger burukide in der Baskischen Nationalistischen Partei und rechnete sich angesichts der Legalisierung der Parteien und der
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