Skorpione im eigenen Saft
war beunruhigend.
»Ehrlich gesagt hatte ich lange Zeit geglaubt, dass du schon unter der Erde bist. Hatte gar nicht mitbekommen, dass du aus dem Koma wieder erwacht bist. Hab sowieso erst vor kurzem erfahren, dass du dreizehn Jahre im Koma gelegen hast. Das war ’ne ordentliche Siesta«, er wartete ab, wie ich wohl auf seine lakonische Erinnerung an damals und den taktlosen Scherz reagieren würde.
»Ich weiß, dass du nicht gerade ein Dummkopf bist, Junge … An deiner Stelle wäre ich ziemlich sauer auf mich wegen dieser Geschichte damals. Bist du’s etwa nicht?«
»Am Anfang war ich’s … Später dann nicht mehr.«
»Komisch. Und warum später nicht mehr?«
»Ich hatte kapiert, dass es ein Unfall gewesen sein muss, dass irgendwas mit dem Gegengift nicht funktioniert hat.«
»Und das mit deinem Vater?«
»Es konnte doch keiner ahnen, dass er Francos Tintenfische essen würde. Man hat mir erzählt, dass ihn das furchtbar aufgeregt hätte, als ich das Bewusstsein verloren habe, und da hat er plötzlich einen Mordshunger bekommen. Er hat sie in der Küche stehen sehen und aufgegessen.«
»Verstehe … Und wenn ich dir sagen würde, dass es kein Unfall war? Dass wir beschlossen hatten, dich zu opfern, weil es die einzige Möglichkeit war, Franco zu vergiften?«
Er passte haargenau auf, welche Wirkung seine brisanten Worte auf mich hatten; er war ein schlauer Fuchs. Während er sprach, riskierte er außerdem einen Blick zu dem Leibwächter, um zu sehen, ob er noch auf seinem Posten war. Als einer der ETA Anführer besaß er das Privileg, andere für sich schießen zu lassen.
Ich verzog keine Miene und atmete gleichmäßig weiter.
»Das würde ich dir nicht abnehmen. Verdammt! Du bist mein Onkel, der Bruder meiner Mutter …«
»Guter Junge«, sagte er heuchlerisch, denn er glaubte mir noch immer nicht. »Ich habe erfahren, dass deine Mutter an Krebs gestorben ist … Ich war schon hier in der Gegend.«
»Ich weiß.«
»Was in Wirklichkeit passiert ist, ist ziemlich simpel. Aber deswegen bin ich nicht weniger schuldig, ich hätte es vorhersehen müssen. Wir haben zu viel Gift in Francos Essen getan«, wie schön, dass er die erste Person Plural benutzte, »und das Gegengift, das ich dir gegeben hab, hat für die Menge nicht ausgereicht … Das ist die Wahrheit. Ich sage das eigentlich nie, aber in dem Fall ist es, glaube ich, angebracht: Es tut mir Leid.«
»Ich habe mir so etwas schon gedacht … Aber ich halte dich nicht für schuldig an dem, was passiert ist. Ich habe das Risiko in Kauf genommen, und es ist schief gegangen. Man verliert so manche Schlacht und kann dabei draufgehen, aber wichtig ist es, den Krieg zu gewinnen … Und der Krieg geht weiter, wie vorher … Mich hat’s erwischt, aber ich bin wieder aufgestanden …, ich bin heil da rausgekommen und ich sage dir noch einmal, dass ich an eurer Seite in den Krieg ziehen will.«
Ich sprach mit den Worten, die er bei seinem Besuch mit Crescencio in Alzo benutzt hatte und die sich mir ins Gedächtnis eingebrannt hatten, was ihm gefiel. Er war weit davon entfernt, den Köder zu schlucken, doch betrachtete er den Wurm am Angelhaken etwas wohlwollender.
Er zog ein zerknülltes Taschentuch heraus und schnäuzte sich geräuschvoll. Dann betrachtete er nachdenklich die Ernte. Es gab Gerüchte, dass er kokste; ich nahm an, dass er nachsehen wollte, ob irgendein Äderchen in der Nase geplatzt war.
»Du«, er wandte sich an den Leibwächter. »Bring aus dem Keller eine gute Flasche Rioja. Wenn’s geht, einen Gran Reserva, ja? Ich kann diese französischen Roten nicht ab«, gestand er mir. »Ich will mit meinem Neffen anstoßen.«
Während der Fahrt zurück nach Bayonne wurden mir wieder die Augen verbunden.
Onkel Patxi hatte mich gebeten, nach Alzo zurückzukehren. Sie würden mich kontaktieren.
Bis ich den Befehl bekam, nach Frankreich zu gehen, stand ich über einen aus meiner Clique in Tolosa mit ihnen in Verbindung. Er hieß Peio Lecumberri, und soweit ich weiß, war er nie mehr als Informant oder Kurier. Ich erwähne ihn lediglich wegen einer Anekdote, die mir eingefallen ist, als ich seinen Namen eingetippt habe. Lecumberri starb Jahre später in Mexiko aus einem absurden Grund.
In einer Nacht voller Tequila und Mezcal pumpte ihn ein Saufkumpan und ehemaliger Sträfling mit Blei voll, weil er das Pech hatte, dass der andere seinen Namen erfuhr: Lecumberri ist der Name des Gefängnisses in Mexiko Stadt, wo der abergläubische Kumpel
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