Skorpione im eigenen Saft
werde für dich meinen Arsch hinhalten, das gibt bestimmt ’ne Menge Ärger, vor allem mit diesem Dummkopf Pakito … Aber ich denke, das bin ich dir schuldig wegen dem Schlamassel, in den ich dich unfreiwillig gebracht habe. Geh in Frieden« – der ehemalige Seminarist machte sich bemerkbar – »und leb dein Leben mit dieser wunderbaren Französin, von der du erzählt hast … Ein bisschen neidisch bin ich ja schon, du Mistkerl … Aber bei mir sind die Würfel gefallen … Damit sind wir zumindest quitt; wir sind uns nichts mehr schuldig.«
Bevor wir uns trennten, überraschte er mich ein weiteres Mal, denn er zeigte eine menschliche Regung.
»Das Einzige, worum ich dich bitten möchte, ist eine Telefonnummer, unter der ich dich erreichen kann. Du bist mein einziger Verwandter, Carlos, und ich bin ziemlich einsam. Hier hab ich kaum Gesellschaft … Ich ruf dich irgendwann an, und wir verabreden uns zum Essen. Dann stellst du mir diese Frau vor, die es geschafft hat, dass du den Kampf für die Befreiung unseres Vaterlandes aufgegeben hast … Verdammt, lass dich umarmen, Junge.«
Ihn zu umarmen löste weniger Widerwillen in mir aus, als ich angenommen hatte. Ich hatte aufgehört, ihn zu hassen, ich war geheilt und dachte nur an meine Zukunft mit Françoise.
35
In den Jahren mit Françoise lernte ich richtig kochen und entdeckte so meine Berufung. Dominique, ihr Vater, der nichts gegen unser Verhältnis einzuwenden hatte und ein guter Freund wurde, brachte mir alles bei, was er wusste, und das war nicht wenig.
Dominique Lenteur war ein vitaler Mann in den Sechzigern mit einem großem Herz. Ein alter Linker mit dem Mitgliedsausweis der Kommunistischen Partei, der im Zweiten Weltkrieg auf einem Panzer der Division Leclerc in Paris eingefahren war.
Er war Witwer. Françoises Mutter war vier Jahre zuvor an einer seltenen degenerativen Nervenkrankheit gestorben. Es gab noch einen Sohn, doch der lebte in Argentinien.
Er war ein Schlitzohr; er hatte eine Freundin und heimlich zwei Geliebte. Er hatte großes Vertrauen zu mir gewonnen und machte mir diese Art von Geständnissen. Ich war ein wenig zurückhaltender; wie ich fand, genügte es, dass ein Mitglied der Familie Lenteur mein Elend kannte.
Dominique war Schüler des großen Paul Bocuse in seinem berühmten Restaurant in Lyon gewesen. Bocuse, der Apostel der jahreszeitbedingten Küche, einer der wichtigsten Erfinder der nouvelle cuisine (an die nicht einmal er selbst glaubte) und ausgezeichnet mit nicht weniger als drei Michelin-Sternen.
Dominique vermittelte mir den Kern der Meisterdoktrin: frische Grundnahrungsmittel je nach Jahreszeit verwenden, ihre Struktur und ihren natürlichen Geschmack erhalten und durch kurze Garzeiten und leichte Soßen unterstreichen, und diese Prinzipien ebenfalls auf die traditionelle Küche anwenden.
Durch ihn lernte ich die Foie als exquisite und leicht zu kombinierende Delikatesse schätzen und die Austern zu lieben, eine Leidenschaft, die ich mit Ihnen teile.
Er führte mich ein in die Welt des Weins, vor allem die des Bordeaux, was nahe liegend war.
Die erste Flasche, die wir gemeinsam tranken, habe ich noch in bester Erinnerung: ein Château Pape-Clémente, der beste Rotwein von Graves, begleitet von einer köstlichen Jungente mit lauwarmer Foie und Trüffeln, die man erstickt hatte, damit sie kein Blut verlor, wie es der Meister Fréderic vom Restaurant La Tour D’Argent empfahl.
Er brachte mir schließlich bei, das Kochen als einen Akt der Kreativität anzusehen, bei dem die Phantasie gebremst wird vom gesunden Menschenverstand und stimuliert wird von einer unerschöpflichen Neugier und einem Schuss Wagemut.
Er pflegte zu sagen:
Wenn nach tausend Experimenten, die im Abfalleimer landen, das nächste etwas Bemerkenswertes und Neuartiges ist, dann herzlichen Glückwunsch zur gelungenen Geburt … Doch sollten wir uns nichts darauf einbilden; vergiss nicht, dass es fast nichts Neues in der Küche gibt, wir stehen auf den Schultern von Riesen. Ihm gefiel ein Satz, der sowohl Charles Monselet als auch Brillat-Savarin zugeschrieben wird und den er eingerahmt im Restaurant aufgehängt hatte:
DIE ENTDECKUNG EINER NEUEN KÖSTLICHKEIT
TRÄGT MEHR ZUM GLÜCK DER
MENSCHLICHEN GATTUNG BEI
ALS DIE ENTDECKUNG EINES PLANETEN
Dominique gestattete mir, als Hilfskoch in seinem Restaurant zu arbeiten, mich am Geschäft zu beteiligen und sein Partner zu werden. Wir kauften das angrenzende Gebäude und erweiterten
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