Skulduggery Pleasant -1- Der Gentleman mit der Feuerhand
beiläufig wie möglich, die Daumen in die Gürtelschlaufen ihrer Jeans gehakt, fragte sie, als sei ihr der Gedanke gerade eben erst gekommen: „Woher weiß man denn, ob man zaubern kann? Kann jeder es lernen?“
„Nicht jeder. Tatsächlich können es nur sehr wenige. Die sammeln sich dann meist an einem Punkt, sodass es auf der ganzen Welt verteilt richtige kleine Gemeinden gibt. In Großbritannien und Irland zum Beispiel gibt es achtzehn Stadtviertel, in denen nur Zauberer wohnen.“
„Kann man ein Zauberer sein, ohne es zu wissen?“
„Oh ja. Es gibt Leute, die herumlaufen und sich zu Tode langweilen und keine Ahnung haben, dass direkt vor ihrer Nase eine Welt voller Wunder liegt. Und sie ergeben sich ihrem Schicksal in völliger Unkenntnis und sterben, ohne jemals erfahren zu haben, wie großartig sie hätten sein können.“
„Das klingt ziemlich traurig.“
„Ich finde es eher amüsant.“
„Ist es aber nicht. Es ist traurig. Wie würde es dir denn gefallen, wenn du nie herausfinden würdest, wozu du in der Lage bist?“
„Ich wüsste es ja nicht besser“, erwiderte er und blieb stehen. „Wir sind da.“
Sie schaute auf. Sie standen vor einem schäbigen alten Mietshaus. Die Wände waren mit Graffiti verschandelt, die Fensterscheiben waren schmutzig und hatten Sprünge. Stephanie ging hinter Skulduggery die Betonstufen zur Haustür hinauf und betrat den Flur. Nebeneinander gingen sie die ausgetretene Treppe nach oben.
Im ersten Stock war alles ruhig. Es roch feucht. Im zweiten Stock drang Licht durch die Ritzen zwischen Tür und Rahmen auf den ansonsten dunklen Gang. In einer der Wohnungen hörte man den Fernseher laufen.
Als sie im dritten Stock anlangten, wusste Stephanie, dass sie ihr Ziel erreicht hatten. Das dritte Stockwerk war sauber, es roch nicht unangenehm, und es war ordentlich beleuchtet. Es war, als seien sie plötzlich in einem vollkommen anderen Haus. Sie folgte Skulduggery bis zur Mitte des Flurs. Ihr fiel auf, dass an keiner der Türen eine Nummer stand. Sie besah sich die Tür, an die Skulduggery klopfte, die einzige Tür mit einem Schild. „Bibliothek“ stand darauf.
Während sie warteten, sagte Skulduggery: „Noch eines: Auch wenn du es gerne möchtest, nenn ihr auf keinen Fall deinen Namen.“
Die Tür ging auf, bevor sie Fragen stellen konnte, und ein dürrer Mann mit einer großen runden Brille lugte heraus. Er hatte eine Hakennase, drahtiges Haar und eine Stirnglatze. Er trug einen karierten Anzug mit Fliege. Nachdem er einen kurzen Blick auf Stephanie geworfen hatte, nickte er Skulduggery zu und öffnete dann die Tür ganz, damit sie eintreten konnten.
Stephanie merkte rasch, warum die Türen von außen nicht nummeriert waren - weil sie alle in denselben Raum führten. Die Wände zwischen den einzelnen Wohnungen und Zimmern waren entfernt worden, um Platz zu schaffen für die Riesenmenge an Büchern, die in den Regalen untergebracht waren. Bücher über Bücher, ein Labyrinth von Bücherregalen, das sich von einem Ende des Gebäudes zum anderen erstreckte. Als sie dem Mann mit der Brille durch den Irrgarten folgten, sah Stephanie weitere Besucher, ganz versunken in ihre Lektüre, Leute, die im Halbschatten standen, Leute, die ihr irgendwie nicht geheuer vorkamen ...
In der Mitte der Bibliothek war freier Raum wie eine Lichtung im Wald, und auf diesem freien Raum stand die schönste Frau, die Stephanie je gesehen hatte. Sie hatte rabenschwarzes Haar und wasserblaue Augen. Ihre Züge waren so zart, dass Stephanie Angst hatte, sie könnten zerbrechen, wenn sie lächelte. Und dann lächelte die Frau, und Stephanie spürte eine solche Wärme von ihr ausgehen, dass sie einen Augenblick lang nie mehr irgendwo anders sein wollte als an der Seite dieser Frau.
„Lass gut sein“, wehrte Skulduggery ab.
Die Frau ließ ihren Blick zu ihm wandern, und ihr Lächeln wurde spöttisch. Stephanie starrte sie entzückt an. Sie selbst kam sich unförmig vor, tollpatschig. Sie wollte in ihrem ganzen Leben nichts anderes mehr tun, als hier zu stehen, genau an dieser Stelle, und sich an reiner, echter Schönheit freuen.
„Lass gut sein“, sagte Skulduggery noch einmal, und die Frau lachte, zuckte die Schultern und wandte sich wieder Stephanie zu.
„Tut mir leid“, sagte sie, und Stephanie hatte das Gefühl, als hebe sich ein Nebel von ihrem Gehirn. Ihr war schwindelig, und sie taumelte, doch Skulduggery war da. Er hatte ihr die Hand auf den Rücken gelegt und stützte
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