SLAM (German Edition)
erhalten wirst und dass es der Wille des Herrn ist. A lso muss ich mich damit abfinden. Ich habe ja dich und das Baby, das ist mehr, als ich hoffen konnte. Deshalb, Karim, verdirb bitte diesen Moment nicht.«
Es zerriss ihm das Herz, Soli so zu sehen , und gleich darauf wurde er von maßlosem Zorn gepackt . Wer entschied eigentlich, wer ein Kind bekam und wer nicht? Nie und nimmer war es der Allmächtige . W enn es so wäre, hätte er Soli ein Kind geschenkt und nicht ihm, dem Zweifler, dem Zauderer. Er sah erneut zu den Pfl egern, die nun reihenweise verwaiste Wiegen zu der Nische fuhren. Die Geburtshöhle begann sich zu leeren, überall trugen strahlende Paare ein kleines Bündel auf den Ausgang zu. Er konnte das nicht. Nicht jetzt, nicht nach allem, was geschehen war. Er wollte wissen, was hier vor sich ging, was hinter den Kulissen dieses jämmerlichen Schauspiels passierte. Er wusste, das hier war vielleicht die einzige Gelegenheit in seinem Leben , zu erfahren, was man ihm, ihnen allen vorenthielt. N och einmal würde er diese Halle nicht betreten dürfen, erst recht nicht, nachdem Soli ihm gestanden hatte, dass er kein Kind bekommen würde. Es blieb ihm nicht viel Zeit zu überlegen, aber sein Entschluss stand ohnehin fest.
Zu Soli gewandt flüsterte er: » Hör mir zu, Soli. Nimm das Kind und geh damit nach Hause, ich muss noch hierbleiben. Frag nicht, vertrau mir einfach. Ich kann dir jetzt nicht mehr sagen. Das Kind braucht Pflege und viel Liebe, einen wirklichen Vater. Ich vertraue dir meinen Sohn an , weil ich weiß, dass er bei dir in guten Händen ist. Ich werde mich bei dir melde n, sobald ich einige Dinge in Erfahrung gebracht habe. Ich liebe dich – euch beide.« Er hauchte Soli einen Kuss auf die Stirn und drehte sich weg.
Langsam, gerade so , als wäre er ein Vater auf der Suche nach seinem Sohn, bewegte er sich durch die endlosen Reihen von Wiegen, von denen viele nun leer standen. Aus dem Augenwinkel be obachtete er genau das Treiben i n der Seitennische. Immer näher schlenderte er an die Wand der Höhle, wachsam, und wartete auf den geeigneten Zeitpunkt.
Ein Pfleger schob gerade eine leere Wiege um die Ecke und kehrte Sekunden später zurück, um weiter seinen Dienst zu tun. Karim atmete tief ein und spazierte, so unauffällig es ihm möglich war , zu der Nische hin . Er ging davon aus, dass er auf dieser Weise aus dem Blickfeld von Soli verschwand, der ihm mit dem Kin d im Arm fassungslos nachblicken mochte .
Vor ihm schwebte eine Wiege geräuschlos durch einen langen Gang, dessen Wände glatt behauen und poliert waren. Niemand war zu sehen, aber Karim wusste, dass jeden Momen t wieder ein Pfleger auftauchen konnte. Er folgte der Wiege, die sich nun mit anderen zu einer langen Reihe formierte. G emeinsam hielten sie auf das Ende des Ganges zu und ver schwanden dann hinter einem Wandvorsprung . So schnell er konnte, schlich Karim auf die Ecke zu, spähte vorsichtig herum und atmete erleichtert auf, als er in diesem Gang niemanden sah. Er brachte sich aus dem Sichtfeld der Pfleger und sah den s chwebenden Wägelchen hinterher. Wie an einer Gebetsschnur aufgereiht schaukelten sie auf eine Öffnung zu, in die der Gang mündete. Im Dämmerlicht hielt Karim darauf zu, bis sich vor ihm die Hölle auftat.
Er blieb abrupt ste hen und starrte konsterniert auf den riesigen Trichter, der einen großen Teil der hinteren Wand einnahm und vom Boden bis fast an die Decke reichte. Aus ihm quoll ein Klirren und Schmatzen wie aus dem Maul eines Dschinns. Unwillkürlich rezitierte Karim leise e inen Vers aus dem heiligen Buch: » Jedes Lebewesen soll den Tod kosten / und wir stellen euch auf die Probe mit Bösem und Gutem als eine Prüfung / und zu uns sollt Ihr zurückgebracht werden .« Hier sah er dem Höllenschlund ins Auge, in dem nacheinander alles verschwand, was von der Zeremonie in der Höhle übrig geblieben war. Eine Wiege nach der anderen bewegte sich langsam auf den Rand des Trichters zu, kippte dann wie in Zei tlupe nach vorne und ging im Nichts unter . Nach kurzer Zeit ertönte wieder das Klirren und Schmatzen, als würde das Gefährt irg endwo in der Tiefe aufschlagen.
Die Adern an seinem Hals pochten heftig, er fasste sich ein He rz und bewegte sich vorsichtig auf die Öffnung des Trichters zu. Wo führte dieser Schacht hin? Die Frage bohrte sich wie ein Pfeil in sein Gehirn und steckte dort fest, zwang ihn, weiterzudenken, weiterzufragen. Zu frisch war noch die Erinnerung an
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