SLAM (German Edition)
wissend an, geradeso, als durchschaue er, was sich in Karims Inner en tat, und lächelte traurig. » Du ahnst schon, was jetzt kommt, ich sehe es dir an. Ja, es ist so, dass deine männlichen Vorfahren begannen, die Worte des Propheten, Friede sei mit ihm, anders zu interpretieren und daraus ihre n Anspruch abzuleiten, dass sie und nicht die Fra uen zu entscheiden hätten, wie die Spielregeln der Sexualität funktionierten . Sie extrahierten aus dem Koran Verbote und Beschränkungen, die es den Frauen nach und nach unmöglich machten, eine freie Wah l nach ihrem Willen und ihren Präferenzen zu treffen. Die Frauen waren zunehmend gebunden an Vorschriften, die aus dem heili gen Buch stammten. Es gab aber auch im ursprünglichen Text wunderschöne Stellen, die mittlerweile s chon lange vergessen sind und welche die eigentliche Ab sicht mehr als deutlich machen.«
Er richtete sich ein wenig auf und rezitierte mit getragener Stimme: »› Wissen zu erwerben ist Pflicht für jeden Muslim, Mann sowohl wie Frau, und sei es in China. ‹ Das sind die Worte, so wie sie einst im Koran zu finden waren. Selbst unser Pr ophet lebte mit Frauen zusammen. E ine davon war sogar Geschäftsfrau , und sie war nicht wenig erfolgreich, das kann ich dir sagen .« Er tauchte jetzt in eine weit entfernte, von Karim nicht für mögl ich gehaltene Vergangenheit ein . » Cha-Didscha war die erste Frau von Mohammed. S ie war eine sehr eigenständige, erfolgreiche Frau und verfügte über ein beträchtliches Vermögen. Ihre Karawanen zogen kreuz und quer durch die damalige Welt , und sie agierte frei und unbeeinflusst von ihrem Mann. Du kannst dir vielleicht denken , dass die Vorstellung von eine r solchen Frau deinen Vätern furchtbare Angst eingejagt hat. Sie mussten verhindern, dass der Kuchen begann, das Rezept zu verändern, und es gelang ihnen - mit h ilfe der Religion .«
Karim konnte es nicht fassen. D as Gebäude se iner Existenz bröckelte unter ihm und schwankte, aber er wollte mehr, wollte von dem erfahren, was sich damals abgespielt hatte. » Und was geschah dann ?«
» Deine Vorväter hielten ihre I dee für gut und führten sie aus. Schritt für Schritt, Generation für Generation schränkten sie die Stellung der Frau ein, beschnitten sie in ihrer Entscheidungsfreiheit bezüglich der sexuellen Selektion und wiederholten so oft, dass dies der Wille des Allmächtigen sei, dass sie irgendwann sogar selber daran glaubten.« Er schöpft ließ sich BEY zurücksinken. » Aber sie hatten in ihrer Verblendung nicht damit gerechnet, dass Allah, unser Schöpfer und Erhalter, seine Pläne nicht ohne Grund macht. Seine Weisheit ist grenzenlos und kein Mensch darf sich anmaßen, seine Entscheidungen infrage zu stellen. Die Einmischung deiner Vorfahren hatte schreckliche Konsequenzen. Anstatt junge, dynamische und kluge Männer zu den Erzeugern einer Generation gesunder, aufstrebender Nachkommen zu machen, paarten sich nun alternde, reiche und einflussreiche Männer mit den Frauen und brachten das Gefüge, das der Herr erschaffen hatte, ins Wanken. Übrig blieben unzählige junge Männer, die sich, der Chance auf das Leben m it einer Frau beraubt, in sinnlose Beschäftigungen stürzten. Sie begannen, sich gegenseitig zu bekriegen, brachten Schmerz und Leid über die Welt, über ihre Mütter und , ja, auch über ihre Väter, die aber längst vergessen hatten, dass sie die Verursacher dieser Krankheit waren. Andere verschrieben sich ganz und gar der Religion, so wie sie damals bereits pervertiert war , und zementierten den männlichen Anspruch mehr und mehr, genau den Anspruch, der sie erst in diese ausweglose Situation gebracht hatte .«
»Stopp!« Karim hielt sich mit beiden Händen an der Kante des Tisches fest und schnappte nach Luft. Das hier war viel zu viel f ür einen einfachen Mann wie ihn. D ie Bekenntnisse von BEY ließen ihn schwanken. E r suchte Halt, suchte in den fallenden und zerschellenden Trümmern seines Weltbildes nach etwas, woran er sich klammern ko nnte und das ihm Sicherheit gab. Er suchte nach Hoffnung, so etwas wie einen Lichtblick in di esem schrecklichen Dunkel.
BEY sprach di e Wahrheit. Keine Sekunde bezweifelt e er, dass sich alles genau so, wie von seinem Freund beschrieben , abgespielt hatte, und doch konnte, wollte er es nicht glauben. Sein ganzes Leben, die ganze Welt war eine einzige Lüge gewesen ! Er schlug die Hände vor sein Gesicht und versuchte, die Tränen, die ihm brennend in di e Augen stiegen, zu
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