SLAM (German Edition)
emeinsamen Lebens auf wie eine Hand voll Nüsse. Ahmet und ihren Vätern erzählen sie, dass Soli sein Geschäft im algerischen Viertel nicht aufgeben kann und sie deshalb getrennte Wege gehen müss t en. Es ist alles nur eine Frage der Zeit, lügen sie sich selber und alle anderen an.
An der »Kathir al Dimaschqi « hat er die Zeit, über den Grund für den Verfall der Gesellschaft nachzudenken. Seine Kollegen halten ihn zu Beginn für verrückt, doch nach und nach suchen sie seine Nähe und das Gespräch mit ihm. Die »Wahren Moslems« wachsen auch in Lumkarta bald zu einer respektablen Größe an. Karim führt sie in Gesprächen und Diskussionsrunden zum Kern der Frage: Woran ist der SLAM erkrankt?
Der Mann in der Gal abyia sitzt auch hier im Freien, ein Platz im Universitätspark eignet sich am besten zum Dozieren . Seine Schüler fragen ihn, was dem SLAM fehle.
Hingabe , sagt er.
Was kann m an tun, um diese Hingabe wiederzu erlangen, wenn sie verloren gegangen ist, will jemand wissen.
Rückbesinnung , antwortet er und weiß, dass dies genau die Antwort ist, nach der er all die Jahre gesucht hat.
Worauf soll man sich rückbesinnen, tönt es von ganz weit hinten aus der Menge.
Jetzt, wo er weiß, wie die Antwort auf seine grundlegende Frage lautet, fällt es ih m nicht schwer, es zu erklären. Der SLAM ist verweichlicht, lässt er die Sitzenden wissen. Struktur, Geradlinigkeit und Schlichtheit leiten den Gläubigen hin zu Allah . Alles, was den Gläubigen vom Dialog mit Gott ablenkt, ist schädlich und muss beseitigt werden. Die Menge ist nicht glücklich über das, was er sagt , und wendet sich von ihm ab, aber er sagt es jeden Freitag aufs Neue.
Eine Zeit lang kommen weniger Menschen zu seinen Parkge sprächen. Karim stört das nicht. D as Feuer seiner Vision brennt hell in ihm und überstrahlt sogar die Melancholie und die Schuld, der er auch in Lumkarta nicht zu entkommen vermag.
Sein Leben gerät fast aus den Fugen, als er zum ersten Mal Neu-Medina besucht. Die Metropole beherbergt die größ te Anzahl Menschen auf der Welt. E ine Mischung aller Ethnien stürmt auf den Straßen auf ihn ein wie eine Meute wildgewordener Dschinns. Er muss die Wände der gigantischen Häuser berühren, um nicht den Halt angesichts der Farben zu verlieren, die hier sprießen wie Schlingpflanzen, d ie einen Garten überwuchern. Gleich ein em einsamen Blatt auf dem Ozean spült es ihn durch die Straßen, er sieht die Auswüchse des Glaubensverlustes , und es schmerzt ihn, die Orientierungslosigkeit zu beobachten, die um sich greift.
Sein Besuch in der größten Moschee der Stadt bestärkt ihn noch in seiner Sorge. Dort wird er Zeuge einer merkwürdigen Zeremonie. Anstatt den Allmächtigen an zurufen , wiegen sich die Anwesenden einer Massenhysterie gleich ekstatisch, bis einer nach dem anderen zusammenbricht und von Visionen stammelt. Diejenigen, de nen diese Visionen nicht zuteil werden, stehen beschämt und neidisch am Rand des Geschehens.
Karim weiß, dass sein Handeln von allergrößter Wichtigkeit ist. Er muss etwas unternehmen. Seine Lehren von Reinheit, Schlichtheit und Struktur, dem unbedingten Dienst an der Gemeinschaft, der Ordnung und Strenge des SLAM kommen nicht gut an in einer Stadt, in der es sich die Sünde bequem gemacht hat und ihn von ihrem Th ron aus verhöhnt. Mehr als einm al entkommt er nur knapp wütenden Zuhörern, die seine Botschaft nicht hören wollen. Dann sucht er Trost und Ruhe in der klaren Stille der Moschee und sammelt sich. Wieder und wieder geht er hinaus und erinnert seine Brüder an den Segen, den ein gottesfürchtiges Leben mit sich bringt , und die Reihen seiner Anhänger werden endlich auch hier größer.
Im Wissen, dass seine Saat a uf fruchtbaren Boden gefallen ist , verlässt er Neu-Medina und kehrt zurück in seine alte Heimat. Ahmet hat einen Partner gefunden , und er wird Zeuge, wie sein Sohn und sein Mann im Angesicht des Allmächtigen verbunden werden. Soli nimmt an der Feier eben falls teil. Als sie sich begegnen, gewahrt er in seinen Augen, wie sehr er gealtert sein muss. Er sieht Fragen auf Solis Lippen liegen wie Puderzucker und wendet sich ab. Soli leckt sich die Fragen vom Mund und lächelt auf seine brüchige Art.
Ahmet und Jibril sind glücklich , und er sieht mit Wohlgefallen, dass sie ein gottesfürchtiges Leben gewählt haben. Schon bald werden sie sich für das Geschenk des Lebens bewerben , und er wird Großvater sein.
Er sucht seinen Lieblingsplatz im Park
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