SLAM (German Edition)

auf und setzt sich, geschützt vor neugieri gen Blicken, auf eine der Bänke. U mrahmt vom saftigen Grün des Frühlings legt er seinen Kopf in den Nacken und betrachtet das Himmelsfen ster . Kinderlachen dringt zu ihm , und er lächelt beim Gedanken, dass es gerade mal gestern war, als Allah ihnen den kleinen Ahmet schenkte. Der Gedanke an Soli versetzt ihm kurz einen Stich, aber der verschwindet im träg en Untergrund seiner Schwermut.
    Seine Heimatstadt hat sich verändert, seine Arbeit war nicht umsonst. Wo noch vor Jahren der moralische Verfall wie ein heimtückisches Geschwür hinter jeder Hausecke lau erte, sorgt das Erstarken der »Wahren Moslems« für eine neue Ordnun g. Straßen und Plätze sind vom bunten Tand befreit, wohltuendes Grau ist die alles beherrschende Farbe, nur unterbrochen vom Grün des SLAM. Die Männer sind wieder in Anzüge gekleidet, wie Karim sie kennt. In der Moschee ist kein Platz mehr frei. Draußen auf dem Hof sammeln sie sich nach dem Gebet um ihn und wollen ihn sprechen hören. Er blickt in die Augen seiner Brüder und fühlt sich für einen Moment eins mit ihnen, geborgen in dieser starken Gemeinschaft. Und doch   … Als er spricht, spürt er die immerwährende Tra uer an seinen Worten zerren, sie bleiben ihm fast im Hals stecken.
    Die Erneuerung des SLAM durch die »Wahren Moslems« schreitet voran. Seine Brüder erweisen sich als verständig, denn sie erkennen Musik und Tanz als Zeichen der Ablenkung, die es auszumerzen gilt. Sie tragen Karims Botschaft in die Welt hinaus und reformieren ein Land nach dem a nderen. Die Sünde scheint besiegt, Ordnung stellt sich wieder ein.
    Ahmet und Jibril laden ihn zum Abendessen ein, um ihm etwas mitzuteilen. Zwischen Hauptgang und Nachtisch sagen sie ihm, dass Soli gestorben ist . Er kann nicht schlucken, mit offenem Mund starrt er seinen Sohn an. Woran?, will er wissen. Ahmet zuckt nur mit den Schultern und meint, das wisse man nicht genau , er sei einfach immer weniger geworde n, kleiner und gebückter, geradeso, als laste etwas auf ihm . Karim weiß, welche Last Soli zu Boden gedrückt hat.
    Er steht auf und geht ans Fenster, öffnet es einen Spalt breit und saugt die kühle Abendluft in seine Lungen, versucht damit , die Schuld zu löschen, die sich wie ein tobendes Feuer in seinem Körper ausbreitet. Nach wenigen Minuten hat er sich wieder unter Kontrolle, aber er spürt, dass das Gewicht der Schuld, die er trägt, größer geworden ist. Solis Tod liegt nun auch auf der Waagschale, die seine Seele trauern lässt. Er weint nicht.
    Ahmet und Jibril haben ihm noch etwas mitzuteilen. Sie sind ausgewählt, das Gesch enk des Lebens zu erhalten, doch sie wollen es nicht hier, an der Stätte des Wirkens des Propheten empfangen, sondern weit entfer nt in Neu-Medina. Karim runzelt die Stirn und fragt sich, was die b eiden in einer Stadt wollen, die noch darum kämpfen muss, sich von der Seuche der Gottlosigkeit zu befreien , und will es ihnen ausreden , aber Ahmet zeigt ihm das Schreiben, auf dem zu lesen steht, dass er in das dortige Z entralarchiv versetzt worden ist .
    Der Entscheidung des Zentralarchivs kann man sich nicht widersetzen, das weiß Karim. Das Zentralarchiv ist der Hüter der Ordnung, es lässt die Gesellschaft funktionieren , und wenn sein Sohn ein Teil davon sein kann, dann muss es ihn mit Stolz erfüllen.
    Schweren Her zens nimmt er Abschied von den b eiden. Er bleibt zurück, ein trauriger, faltiger Mann in einer Galabyia am Aeroport und winkt ihnen nach. Er weint nicht.
    Stattdessen geht er zur Begräbnisstätte an die Erinnerungswand und sucht Soli. Als er den Namen seines ehemaligen Gefährten liest, tauchen Bilder in seinem Kopf auf. Bilder aus glücklicheren Tagen, als sie miteinander sprachen und sich daran erfreuten, sich zu berühren. Als es noch keine Qual war, das Gewicht von Solis Hand auf seiner Haut zu spüren. Er zeichnet mit seinem Finger die eingravierten Linien nach und stellt sich vor, er würde ein letztes Mal Solis Gesicht berühren , er, der ihn falten- und sorg los liebte, bis die Wucht der Schuld ihn fortriss.
    Leb wohl, mein Freund, sagt er , und dann rinnt ihm doch eine Träne übers Gesicht.
    Seine Anhänger greifen zu immer drastischeren Mitteln, um die letzten Nester der Sünde auszurotten und die Welt auf den richtigen Weg zu bringen. Karim hört von harten Strafen, die verhängt werden, wenn jemand di e heilsbringende Ordnung stört. Und immer wieder kommen sie zu ihm. Sie hocken sich vor ihm