SLAM (German Edition)
auch di e SLAM-Gesellschaft ist davon betroffen , und er scheint der Einzige zu sein, dem diese Entwicklung auffällt.
Er geht nun häufiger in die Moschee. Das Gebet und die anschließenden Gespräche mit den Imamen trösten ihn, weisen den störenden Zweifel in seinem Herzen in seine Schranke n und lassen ihn freier atmen. Hier ist es auch, wo er zum ersten Mal von seiner Sorge spricht, dass der SLAM in Gefahr ist, an Bedeutung zu verlieren. Die Imame nicken wissend und bestätigen ihm, was er schon vermutet hat. Junge Männer suchen neue Zerstreuungen, sie weichen ab vom einzig wahren Weg und betrachten das Gebet und die Regeln des SLAM nur noch als eine von vielen Möglichkeite n, sich die Zeit zu vertreiben.
Er spricht mit Soli darüber. Der schüttelt nur den Kopf und versichert ihm, die Hauptsache sei doch, dass sie b eide die Bedeutung ihrer Religion nicht vergessen. Dabei schaukelt er gedankenverloren den kleinen Ahmet auf einem Knie , und Karim beugt sich nahe hinunter zu dessen Gesicht. Augen wie seine eigenen sehen ihn fragend an. Da weiß er, dass er dieser Entwicklu ng nicht tatenlos zusehen darf.
Im Zentralarchiv versucht niemand, ihn davon abzuhalten, seinen Arbeitsplatz aufzugeben. Die Jahre, in denen er treu gedient hat, scheinen vergessen, er ist nur noch ein absonderlicher Kollege, der sich von anderen abkapselt und den man hin und wieder in einer Ecke des Großraumbüros ins Nichts starren si eht. Er wirkt auf alle Mitarbeiter zunehmend gespenstisch , und insgeheim danken sie Allah, dass er sie nun von seinem Anblick erlöst.
An diesem Tag, als er viel zu früh nach Hause kommt, findet er Soli mit Ahmet beim Spielen im Kinderzimmer. Ahmets nackte Füße machen schmatzende Geräusche auf dem Fußboden , und Karim muss seit langer Zeit zum ersten Mal wieder lachen. Das nagende Etwas in seiner Seele hält für einen Moment die Luft an und gönnt ihm diese Sekunden des Friedens. Als es wiederkehrt , passiert es mit einer Wucht, die ihn so sehr niederdrückt, dass er glaubt, nie mehr aufstehen zu können.
Soli geht nun wieder arbeiten , und er kümmert sich um das Kind, sieht es wachsen und staunt darüber, wie aus einem hilflosen Bündel Menschenfleisch ein eigenständiges Wesen wird. Ahmet ist ein friedliches Kind.
Seine Gespräche mit den Imamen werden intensiver. Nach dem Freitagsgebet spricht ihn einer der Geistlichen an und fragt ihn, ob er gerne an einem Gesprächskreis teilnehmen möchte, bei dem sich die führenden Köpfe der örtlichen Moschee austa uschen. Karim ist interessiert.
Er kann Solis Berührungen nur noch schwer ertragen. Wenn er seine Hand auf seiner Haut spürt, überläuft ihn der Schauer einer Erinnerung, die er nicht einsortieren kann. Ihm ist dann, als hinge in der Luft dieser Geruch, dieses H aram. Solis Körpergeruch ka nn es nicht überlagern, es schwingt zwischen ihnen wie ein Vorhang aus Enttäuschung, die er in Solis Gesicht sieht, wenn er sich von ihm wegdreht.
In den Stunden, die er beim Studium des Korans verbringt, sieht er seinen Sohn nicht wachsen, aber das Buch öffnet ihm die Augen. Er weiß nun, was Gott von ihm erwartet. Die Gemeinschaft der »Wahren Moslems« wird am Tag von Ahmets »Sünnet« gegründet , und Karim ist nicht auf der Feier seines Sohnes, verpasst süße Torten, Umarmungen und die Glückwünsche seiner Väter. Soli blickt nicht mehr auf, wenn er nach Hause kommt.
Zuerst kommen nur wenige Brüder, um ihm zuzuhören. Auf dem Hof der Moschee sitzt er und spricht vom wahren Glauben, davon, dass Allah Mäßigung von ihnen erwartet und eine Rückbesinnung. Die Imame blicken zufrieden und be s tätigen ihm, dass sein Weg der Richtige ist.
Nach ts, wenn die Stadt schläft , träumt Kari m zuweilen bizarre Träume. Dann sieht er zuckende Leiber in rosafarbenen Kokons. Er berührt Männer mit Wölbungen an Stellen, wo sie nicht sein dürften , und eine sehnsuchtsvolle Stimme singt ein Lied in einer Sprache, die er nicht versteht. Nach diesen Nächten wacht er schweißgebadet auf , und in seinem Geist geht es zu wie in einem konfusen Bienenstock .
Seine Tage vergehen wie zähflüssiger Honig, kleben an seiner Seele und hinterlassen eine bittersüße Schicht auf seinem Herzen. Sein Sohn wächst heran , und auch die Schar der Zuhörer, die nun jeden Freitag nach dem Gebet in der Moschee bleiben, um seinen W orten zu lauschen, wird größer.
Im algerischen Viertel trifft er sich hin und wieder mit Soli. Dann gehen sie zusammen in eines der
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