SLAM (German Edition)
hundertsechsundneunzigsten Lebensjahr? Nach der Last eines schuldbeladenen Lebens sollte er unter Tonnen von Sand begraben werden, auf das s niema nd seine Überreste finden mochte ?
Mit schwindenden Kräften versuchte er, sich außer Gefahr zu bringen, robbte auf allen v ieren die Düne hinunter, weg von diesem Höllenloch. Er schrie und weinte, weinte alle Tr änen, die er sich bis jetzt versagt hatte , und br üllte seine Trauer in den Wind. All die Jahre hatte er vergeudet. Er hatte alle verraten, die er liebte und die ihm vertraut hatten. Er hatte Hayat im Stich gelassen, sein Kind im Stich gelas sen, Ahmet im Stich gelassen, Soli im Stich gelassen. Er hatte sich dem Willen von HAVVA2 gebeugt , oh ne auch nur eine Sekunde für seine Lieben zu kämpfen. Diese grausame Maschine hatte nicht nur sein Glück wie ein lästiges Insekt unter ihren Füßen zerquetscht, sondern auch das L eben der Menschen, ohne die sein Leben keinen Sinn ergab. In allen Leben, die er besaß. Ein Leben in Trauer und M elancholie war nicht genug, um die Schuld zu begleichen, die er auf sich geladen hatte.
Er verlor den Halt und schlingerte auf der Rückseite der Düne hinab, der Stoff seiner Galab yia schlug ihm ins Gesicht. BEY … Ein Wort, ein Name , und das Gesicht seines alten Freundes standen ihm vor Augen. BEY hatte es ihm gesagt, hatte ihn vor der Grausamkeit von HAVVA2 gewarnt und ihm erzählt, dass sie ihn schon unzählige Male vernich tet hä tte. Er schluckte die Scham hinunte r. Sein Freund hatte so große Hoffnungen in ihn gesetzt. » Du trägst die Lösung in Dir « , hatte er gesagt , und Karim erinnerte sich noch genau an den verheißungsvollen Tonfall. Zuversicht hatte aus den Worten seines Mentors gesprochen , und nun rollte er nach einem verschwendeten Leben eine Düne hinunter und musste sich eingestehen, dass er auch BEY betrogen hatte.
Sie wollte ihn vernichten, wollte nichts von ihm übrig lassen, nicht das kleinste bissche n Stolz sollte von ihm bleiben . Und sie hatte r echt. Er hatte versagt, nicht nur in seinen eigenen Augen, auch in ihren. Sie war es gewesen, die ihm von den verweichlichten Männern der SLAM-Welt erzählt hatte , und er hatte sich eingeredet, dass sie von seinen Br üdern sprach und nicht von ihm.
Das Grollen schwoll immer mehr an , und die Seite der Düne, auf die er sich gefl üchtet hatte, kam ins Rutschen. Immer noch feige , dachte er , immer noch auf der Flucht vor der Verantwortung . Dann hielt er inne. Er s etzte sich auf, kniete sich auf seine schmerzenden Beine und wartete auf den Tod. So war es auch im Wasser gewesen, als sie ihn von der Klippe gestoßen hatte , und er für einen Moment davon überzeugt gewesen w ar, dass er nun sterben müsste.
Der Geschmack von Staub verging von einem Moment zum anderen, und sein Mund füllte sich plötzlich mit Wasser, das nach Salz schmeckte. In seinen Ohren begann es zu dröhnen, aber es war nicht das Grollen des abrutschenden Sandes. Doch einerlei, ob Sand oder Wasser, im Angesicht des Todes hatte Karim nur noch ein Ziel: Er würde, bevor er endgültig abträte, diesem »Weib« noch derart den Hintern versohlen, dass es sich nie mehr davon erholen würde …
… Er stürzte wieder in die Tiefe des Meeres, fieberhaft nach einer Lösung des Problems HAVVA2 suchend und – achtundzwanzig Jahre alt. Es war alles nur eine Versuchung gewesen. Und er würde ihr letztlich widerstehen!
20
Karim brauchte einen Moment, um zu be greifen, wo er sich befand. N och vor wenigen Augenblicken hatte der trockene Wüstenwind aus allem das Leben gesaugt, und jetzt schossen Fis che wie Feuerwerksraketen in allen Farben an ihm vorbei. Da s milchig trübe Wasser umgab ihn und verleibte sich ihn ein. Er spürte jede Zelle seines Körpers, seines jungen Körpers … und blickte verwundert an sich herunter.
Er war der grö ß ten und umfassend sten Täuschung erlegen gewesen, die einem Menschen je widerfahren konnte ! Langsam schlich sich die Wahrheit in sein Gehirn, hinterließ überall dort, wo sie auftauchte, pures Erstaunen und fast so etwas wie Ehrfurcht. All d ie Jahre in Trauer, beschwert mit der untilgbaren Schuld auf seiner Seele, nichts als ein Trugbild! Sein Leben, sein Werk, alles eine Schimäre! Über hundert fünfzig Jahre, die endlosen Tag e und Nächte, eine Fata Morgana! Alles n ur eine heimtückische Vision, eingepflanzt in sein schwaches Ego , ein leichte r Weg, den HAVVA2 ihm präsentiert und den er so willf ährig
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