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Slant

Slant

Titel: Slant Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
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gehofft, Hans könnte ihr dabei helfen, eine Antwort auf diese Frage zu finden. Aber er ist nur auf Äußerlichkeiten fixiert. Er hat sie so gemocht, wie sie früher war.
    »Ich meine«, sagt er, »ich kenne dich überhaupt nicht. Ich habe darüber nachgedacht, wie es sein muss, so zu werden… wie du bist, und es dann wieder rückgängig zu machen.«
    »Du meinst, was es über mich persönlich aussagt.«
    »Wer tut so etwas? Ich war in den letzten Tagen sehr traurig und habe dich sehr vermisst.«
    Gut.
    »Aber dieser Mensch, diese Frau, ist nicht mehr da. Du bist anders als der Mensch, den ich vermisse.«
    »Aha«, sagt Mary.
    »Die Frau, von der ich gedacht habe, ich würde sie lieben, gibt es nicht mehr.«
    »Es scheint so.« Ihr Tonfall vermittelt professionelles Mitgefühl. Sie ist nicht bereit, ihm mehr zu geben, ihn näher an sich heranzulassen.
    »Wer bist du, Mary Choy?«
    Ihre Kiefermuskeln spannen sich an. Sie berührt ihre Wange und sticht mit dem Fingernagel hinein, um die Spannung abzubauen. »Ich bin eine hart arbeitende Frau, die nur wenig Zeit hat, über solche Dinge nachzudenken, Hans. Ich tue das, was ich für mich am besten finde. Es tut mir Leid, dass unsere gemeinsame Fahrt nun zu Ende ist.«
    »Nein«, sagt Hans etwas leiser. »Du hast mich einfach vom Sitz geschubst, Ms. Bronco.«
    »Du wusstest, was geschehen würde. Ich habe mit der Rückverwandlung begonnen, bevor wir uns kennengelernt haben.«
    »Ich weiß«, sagt Hans, der jetzt sämtlichen Dampf abgelassen hat. »Ich wollte mich nur von dir verabschieden und dir sagen, dass ich leide, zumindest ein wenig. Ich wünschte, ich könnte dich verstehen.«
    »Vielen Dank, Hans.« Sie blickt starr in das Kamerauge des Pads. Sie hasst ihn, zeigt jedoch keine Regung. »Ich vermisse dich auch, falls es dich irgendwie tröstet«, sagt sie, ohne dass sie weiß, warum sie es gesagt hat.
    Es wird Zeit für sie, sich auf den Weg zu machen, um nicht zu spät zu kommen. Trotzdem lässt sie das Kamerauge weiter zusehen, wie sie vor dem aufgeklappten Pad am Tisch sitzt. Eine Ecke des Geräts steht auf einer echten Papierserviette. Mary erinnert sich an die atavistische Saugkraft der Serviette und an das Gefühl von Hans’ Lippen auf ihren, etwas trocken, ähnlich wie die Serviette, aber kräftig und hungrig.
    Hans senkt den Blick, hebt die Hand und starrt nervös auf seine Finger. »Was machst du gerade?«
    Mary sieht keinen Grund, warum sie es ihm nicht sagen sollte. »Ich habe in einem Restaurant etwas gegessen«, erklärt sie. »In Kürze werde ich einen Vortrag halten.«
    »Über PD-Angelegenheiten?«
    »Ja. Ich lese, während ich esse.«
    »Lit? Ein Buch?«
    »Ja.« Zumindest das hatten sie gemeinsam, den Spaß am Lesen.
    »Welches?«
    »Liebesleben, Lebenslügen«, sagt sie.
    »Ach. Das Buch für Menschen mit Liebeskummer.«
    »Es ist schon etwas mehr als nur das«, sagt sie, obwohl das der eigentliche Grund war, warum sie es abgerufen hat.
    »Mary. Ich möchte nicht, dass du…«
    Hans bricht ab, mit offenem Mund, und scheint nicht zu wissen, was er noch hinzufügen soll.
    »Mach’s gut«, sagt er.
    Mary nickt. Nach dem Ende des Gesprächs klappt sie ihr Pad kraftvoller zusammen, als nötig gewesen wäre.
    *
    Selbst die Luft kommt ihr heute freier und natürlicher vor. Es ist kalt, aber es friert nicht, und wenn sie nach Süden über die breite Durchgangsstraße zwischen den Cascade und Tillicum Towers blickt, kann sie Mount Rainier erkennen, der sich wie ein breitschultriger Bruder des Fudschijama erhebt.
    Das Licht auf der Straße funkelt geradezu, und die in dicke Mäntel eingemummten Fußgänger gehen schnell und mit den Händen in den Taschen. Sehr wenige sind offensichtliche Transformierte. Für Mary ist das um so interessanter, weil der Corridor – und insbesondere Seattle – in den vergangenen fünfzig Jahren die Führungsrolle im Rim und der Ökonomie des kontinentalen Zentrums übernommen hat. In Japan oder Taiwan ist die Hälfte der Affektiven transformiert – die Menschen, die politisch aktiv sind, die noch Interesse an Arbeit und Wahlen zeigen und glauben, dass sie Veränderungen bewirken können, und die an Zeitarbeitsagenturen gebunden und den Witterungen des freien Marktes ungeschützt ausgesetzt sind. In Los Angeles ist es nahezu ein Drittel… und in San Francisco fast zwei Drittel.
    Doch hier höchstens fünf Prozent.
    Sie erreicht den gähnend weiten Eingang zum Tillicum Tower. Ein Luftwirbel veranlasst Mary, ihren kleinen

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