Slide - Durch die Augen eines Mörders
Lederjacke, und ich folge ihm aus dem Wohnzimmer in die dunkle Diele, wobei ich den Mund öffne und schließe wie ein Fisch. Ich habe Angst – wenn er jetzt geht, wird unsere Freundschaft vielleicht nie wieder wie früher sein. Ich will
Stopp
sagen. Ich will sagen,
bleib hier
, aber aus meinem Mund kommt nichts heraus.
Wir stehen an der Tür. Für einen Sekundenbruchteil wird Rollins’ Gesicht weich, und er streicht mir sanft das Haar aus dem Gesicht, wobei die Beule wieder sichtbar wird. Ich mag es nicht, so entblößt dazustehen. Ich zucke zusammen und schiebe seine Hand weg.
Er schüttelt den Kopf und öffnet die Tür.
»Bis dann«, sagt er mit zusammengepressten Zähnen und verschwindet hinaus in den kühlen Abend. Einen Moment später höre ich den Motor seines Autos dröhnen. Ich stehe da und sehe zu, wie die Rücklichter verschwinden. Spüre einen bitteren Geschmack im Mund. Dann endlich schalte ich das Licht vor der Tür an, damit meine Schwester etwas sieht, wenn sie nach Hause kommt.
5. Kapitel
I ch gehe in mein Zimmer und stehe eine Minute einfach nur so da, unschlüssig, was ich mit mir anfangen soll. Wenn man an einem Freitagabend um neun Uhr allein ist, fühlt man sich einsamer als an jedem anderen Abend der Woche. Es ist, als würde mein Loserstatus noch bestätigt.
Ich muss
Weezer
hören, damit es nicht ganz so still ist. Ich starre die Wände an, die Poster von
den Nine Inch Nails
und
Green Day
, die über meinem Bett hängen. Sie erinnern mich an Rollins – er hat mir immer Bescheid gesagt, wenn bei ihm im Laden etwas hereinkam, das mir gefallen könnte. »Du und dein alter Kram aus den Neunzigern«, sagte er grinsend und schüttelte den Kopf.
Doch die Art und Weise, in der er heute Abend gegangen ist, lässt mich fürchten, dass ich ihn für immer verloren habe. Ich habe immer abgeblockt, wenn er herausfinden wollte, was wirklich mit mir los ist. Ich weiß, was Dr. Moran sagen würde – dass ich ihn wegstoße, bevor er mich enttäuschen kann.
Ich versuche, in meinem Zimmer etwas aus der Zeit zu finden, bevor wir Freunde wurden, einen Hinweis auf mein Leben vor Rollins, doch ich finde nichts. Schließlich wende ich mich dem Kleiderschrank zu. Ich schiebe die Sachen beiseite, die ich jeden Tag trage, und schaue nach hinten. Ein Blick in die Vergangenheit – mein altes Cheerleader-Kostüm und die schicken Tops, die ich getragen habe, als ich noch mit Samantha abhing.
Als meine Finger das glitzernde violette Kleid berühren, das ich letztes Jahr beim Homecoming anhatte, zucke ich zusammen, als wäre es eine Schlange. Die giftigen Erinnerungen stürmen auf mich ein.
Der erste Tag in der zehnten Klasse war voller Verheißungen. Die Cheerleader-Proben standen bevor, und Samantha und ich hatten uns geschworen, es beide ins Team zu schaffen. Wenn ja, würden wir mit Weinmixgetränken aus dem Kühlschrank ihres großen Bruders feiern.
Mein Spind war genau neben dem von Scott Becker – damals nannten sie ihn noch nicht Scotch. Samantha und ich standen beide auf ihn. Er hatte rotblondes Haar und Grübchen und starrte mich immer so lange an, bis ich ihn auch ansah. Dann wurde er rot und blickte zu Boden.
Am letzten Freitag im September bat er mich, mit ihm zum Homecoming-Ball zu gehen. Ich dachte, Samantha würde sich für mich freuen. Okay, das ist Quatsch. Ich wusste, sie würde sauer sein. Aber ich sagte trotzdem zu.
Wenn ich irgendetwas in meinem Leben ungeschehen machen könnte – außer dem Tod meiner Mutter natürlich –, wäre es diese Entscheidung.
Denn Samantha wurde gemein und schaffte es, alle Cheerleaderinnen gegen mich aufzuhetzen. In Gesundheitskunde machten wir PowerPoint-Präsentationen über Geschlechtskrankheiten. Samantha berichtete über Herpes und kopierte meinen Kopf auf einen violetten Dinosaurier, den sie Herpasaurus Rex nannte. Alle mussten lachen, sogar die Lehrerin.
Dann verbreitete Samantha das Gerücht, dass ich allen Mitgliedern des Footballteams einen blasen würde. Meine Telefonnummer hing angeblich in sämtlichen Kabinen auf dem Jungenklo. Samstagsmorgens waren die Bäume in unserem Garten voller Toilettenpapier.
Wenn die Cheerleaderinnen einander etwas ins Ohr flüsterten und mich dabei anstarrten, wäre ich am liebsten gestorben. Doch wenn ich nachgab, hätten sie gewonnen, und das würde ich niemals zulassen. Ich tat, als interessierten mich die Gerüchte nicht.
Nur nachts, wenn ich nicht schlafen konnte, weinte ich.
Am Wochenende vor
Weitere Kostenlose Bücher