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Slide - Durch die Augen eines Mörders

Slide - Durch die Augen eines Mörders

Titel: Slide - Durch die Augen eines Mörders Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jill Hathaway
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ihr nahe.
    Ich beuge mich vor und blicke durchs Okular. Ich kann den Polarstern erkennen und auch den Großen und den Kleinen Bären. Mamabär und Babybär. Die Sternbilder haben etwas Tröstliches, Mutter und Kind, für alle Ewigkeit am Himmel fest umfangen. Ich schaue hin, bis die Sterne verschwimmen und mein Atem ganz leise wird.
    Ich spüre etwas in meiner Tasche. Ich hole es heraus und streiche es an meinem Hosenbein glatt. Es ist die Seite aus dem Kalender, die Sophie an unsere Tür geklebt hat. Mir wird schwindlig …
O nein, nicht schon wieder.
Alles vor meinen Augen pulsiert, meine Knie geben nach, und ich falle tief, tief hinunter in ein Loch.
     
    Ich sitze an einem weißen Schreibtisch, vor mir liegt ein Blatt schickes Briefpapier. Wörter krabbeln wie Spinnen über die Seite, fließen aus dem Stift in meiner Hand.
    Wer bin ich?
    Wieso trage ich Handschuhe?
    Die Wörter, die ich schreibe, lauten:
Das habe ich nicht verdient.
    Als ich aufstehe, bemerke ich die rosa Wände und die Bilder von den Ballerinas. Sophies Zimmer.
    Es ist kein Laut zu hören.
    Ich wende mich vom Schreibtisch ab und sehe zum Bett. Es ist eindeutig Sophies Bett, aber es hat eine andere Farbe. Vorhin lag eine makellose weiße Tagesdecke darauf. Jetzt ist es dunkelrot. Und nass. Ganz nass. Auf dem Bett liegt etwas. Es ist Sophie. Ihr schwarzes Haar umrahmt ihr weißes Gesicht. Sie hat die Arme hilflos neben sich ausgestreckt, in jedem Handgelenk klafft ein langer, blutiger Schnitt.
    Nein.
    Nein.
    Nein.
    Das passiert nicht wirklich.
    Dann sehe ich, was ich in meinen verhüllten Händen halte. Eine lange, silberne Klinge.
    Oh. Scheiße. Oh. Nein.
    Wer hat ihr das angetan? In wen bin ich gewandert?
    Doch bevor ich es herausfinde, bin ich weg.
     
    Ich reiße die Augen auf und setze mich hin. Betaste meine Beine, meinen Kopf, mein Gesicht, um zu sehen, ob ich wirklich wieder da bin. Das Licht der Straßenlaterne leuchtet hell, blendet mich. Ich rapple mich auf und sehe mich um. Teleskop, Schaukelstuhl, schmutzige Wäsche. Ich bin wieder in meinem Zimmer.
    Was ist passiert?
    Ich bemerke das Stückchen Papier auf dem Boden, von dem ich dachte, Sophie hätte es an unsere Tür geklebt. Wenn es von ihr stammte, wäre ich in
sie
gewandert.
    Aber das bin ich nicht.
    Ich bin in jemand anderen gewandert. Einen schlechten Menschen. Einen Menschen mit einem Messer.
    Die Erinnerung an Sophie und ihre klaffenden Handgelenke lässt Adrenalin frei. Ich bin hellwach. Ich muss bei ihr anrufen. Verdammt, ich habe ihre Nummer nicht.
    Mattie und Amber schon.
    Ich stürze zur Tür und durch den dunklen Flur ins Zimmer meiner Schwester. Aber sie ist nicht da. Das Bett ist leer, niemand liegt eingekuschelt in die Decke. Mattie und Amber sind noch unterwegs.
    Ich sehe auf die Uhr. Fast Mitternacht.
    Wenn sie nur ins Kino gegangen wären, müssten sie inzwischen zu Hause sein. Ich gehe in mein Zimmer, um mein Handy zu holen, und frage mich, was sie treiben. Vermutlich übernachten sie bei Samantha.
    Es geht ihnen gut
, versichere ich mir.
Mattie geht es bestens.
    Ich wähle ihre Nummer und warte. Keine Antwort. Ich wähle noch einmal. Keine Antwort.
    Ich zwinge mich, mich hinzusetzen und zu atmen. Einfach zu atmen.
    Einen Moment lang spiele ich mit dem Gedanken, meinen Vater anzurufen. Komisch, dass er noch nicht zu Hause ist. Vielleicht hat es Probleme mit den siamesischen Zwillingen gegeben, aber dann kann ich ihn nicht anrufen und bei der Arbeit stören.
    Was soll ich machen?
    Wenn ich Sophies Festnetznummer herausfinde, kann ich ihre Eltern anrufen. Meine Uhr zeigt 00 . 03  Uhr. Es ist zu spät. Sie werden sauer sein.
    Dann wird mir klar, dass ich sie trotzdem anrufen muss. Wenn das, was ich gesehen habe, real war, muss ihr jemand helfen.
Sofort.
    Ich schalte meinen Laptop ein und suche nach ihrem Familiennamen. Es gibt in der Gegend sechs Einträge. Ich habe keine Ahnung, wie ihre Eltern mit Vornamen heißen. Also muss ich alle anrufen.
    Bei der ersten Nummer meldet sich niemand.
    Beim zweiten Versuch geht eine schläfrig klingende Frau an den Apparat.
    »Ist Sophie da?«
    »Falsch verbunden«, sagt die Frau wütend und hängt ein.
    Lass es beim dritten Mal klappen. Bitte.
    Rufzeichen.
    »Hallo?«, meldet sich ein Mann vorsichtig.
    »Ist Sophie da?«
    »Sie schläft, genau wie ich bis gerade eben.«
    »Bitte, Sir, sehen Sie nach ihr.«
    »Was soll das …«
    »Bitte, ich habe keine Zeit, es zu erklären. Sehen Sie sofort nach ihr.«
    Ich höre, wie der

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