Slide - Durch die Augen eines Mörders
und ich stehen neben ihr und machen doppelte Hasenohren. An jedem anderen Kühlschrank wäre es eine Sammlung glücklicher Erinnerungen, an unserem ist es der blanke Hohn. Wir waren einmal eine glückliche Familie.
Ich mache den Kühlschrank auf und nehme den Sirup heraus. Dann gieße ich ihn über die Pfannkuchen für meine Schwester, so wie sie es gerne mag.
Ich stoße Matties Zimmertür mit dem Fuß auf und trage das Tablett mit Pfannkuchen hinein. Jetzt, wo ich hier stehe, kommt es mir albern vor. Als wenn Pfannkuchen den Schock lindern könnten, den ich ihr versetzen muss. Eine weitere Freundin ist gestorben. Verdammt, ich benehme mich wie mein Vater. Ich mache ein paar Schritte rückwärts, stelle das Tablett im Flur auf den Boden und gehe wieder hinein. Das hier werde ich auf meine Art regeln.
Sie schnarcht, die dichten Wimpern liegen auf ihren Wangen. Ein seltsames Verlangen überkommt mich – zu ihr ins Bett zu kriechen, sie zu umarmen und zu spüren, wie sich ihr Körper bei jedem Atemzug hebt und senkt. Stattdessen öffne ich die Vorhänge und lasse die Sonne herein, als könnte sie die Dunkelheit vertreiben, die meine Nachricht bringen wird.
»Mattie?« Ich setze mich neben sie und schüttle sie sanft. »Wach auf, Mattie.«
Sie öffnet ein Auge und sieht mich an. Dann zuckt sie zusammen und wirft ihre prinzessinnenrosa Decke beiseite.
»Wie spät ist es? O mein Gott, ich komme zu spät zum Training. Rieche ich Pfannkuchen? Ist heute Sonntag?« Sie schaut mich verwirrt an.
»Mattie, ich muss dir etwas sagen.«
Sie erstarrt, Angst huscht über ihr Gesicht. Sie spannt die Muskeln an, als wollte sie sich für den Schlag wappnen.
»Heute ist keine Schule. Amber ist tot.« Keine Beschönigung, nur die nackten, hässlichen Worte. Ich reiße das Pflaster ab und warte auf den Schrei.
Ihre Schultern fallen herunter, dann senkt sie die Augen. Ich erkenne förmlich, wie sich das Wissen durch ihren Körper arbeitet, bis alle Muskeln schlaff werden. Zuerst im Gesicht. Dann in den Armen. Dann im Oberkörper. Sie sinkt in sich zusammen, ihr Gesicht wird ausdruckslos.
»Man hat sie auf dem Footballfeld gefunden. Sie halten es für Selbstmord.« Noch während ich es sage, frage ich mich, wer
sie
eigentlich sind. Ich habe ein verschwommenes Bild von Officer Teahen und einigen Uniformierten, die den Campus zentimeterweise nach Hinweisen absuchen.
Mattie schweigt.
Ich habe Angst, sie allein zu lassen, also hole ich einige CD s aus meinem Zimmer und meinen alten Teddybären Cleo. Ich lege die CD von den
Smashing Pumpkins
in Matties Computer ein, weil ich sie gerne höre, wenn ich mich fühle, als würde man das Leben aus mir heraussaugen. Billy Corgans Stimme tut ungeheuer gut.
Ich drücke ihr Cleo in die Hand. »Mattie, du stehst das durch. Versprochen.« Dann lege ich mich zu ihr ins Bett und umarme sie, stelle mir vor, wir wären in der Antarktis gestrandet, und ich müsste sie mit meiner Körperwärme am Leben halten. Komisch, sie fängt erst an zu zittern, nachdem ich sie in die Arme genommen habe.
Der Schlafmangel holt mich schließlich ein. Ich trinke eine Tasse Kaffee nach der anderen, aber mir fallen trotzdem die Augen zu. Ich versuche, mich sinnvoll zu beschäftigen. Jede halbe Stunde sehe ich nach Mattie. Zum Mittagessen bringe ich ihr ein Sandwich und einen Joghurt. Sie lässt das Essen unberührt auf dem Nachttisch stehen.
Nachdem ich mich gezwungen habe, selber ein Sandwich zu knabbern, gehe ich ins Badezimmer. Ich habe keine Kraft mehr. Ich fülle ein Wasserglas und schlucke mehrere Koffeintabletten, aber ich bin nicht schnell genug. Zu spät begreife ich, dass ich das Scooby-Doo-Glas in der Hand halte, aus dem Officer Teahen getrunken hat.
Zu spät begreife ich, dass er seinen Abdruck darauf hinterlassen hat.
Zu spät begreife ich, dass ich wandere.
Ich breche auf dem Badezimmerboden zusammen.
Officer Teahen schwitzt. Sein Hemd ist ganz feucht. Als er damals bei uns war und Mattie befragt hat, wirkte er ruhig und gelassen. Jetzt aber schlägt sein Herz heftig. Er kann seine Gefühle gut verbergen.
Er befindet sich in einem nackten Raum mit Betonwänden, der nur mit einem Tisch und zwei Klappstühlen eingerichtet ist. Eine Neonlampe an der Decke erhellt jeden Winkel. Eine Wand ist fast komplett verspiegelt, und ich habe genügend Krimis gesehen, um zu wissen, dass es ein Einwegspiegel ist. Am Tisch sitzt Mr Golden, er sieht furchtbar aus.
Officer Teahen nimmt einen Stift und
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