Slide - Durch die Augen eines Mörders
Gelee.«
Er runzelt die Stirn. »Tut mir leid, ich habe keine mehr.« Er wirkt so ernst, dass ich trotz allem lächeln muss.
»Nein, ich meine metaphorische Donuts. Ich muss mit dir reden.«
»Ach so. Metaphorische Donuts mit Gelee kann ich anbieten. Möchtest du dich setzen?« Er deutet auf ein paar Schaukelstühle. Ich lasse mich auf einen nieder und werfe einen Blick auf die Straße. Die Gegend, in der ich mein ganzes Leben verbracht habe, sieht von hier aus irgendwie anders aus.
»Was ist los?«
Ein Schluchzen blubbert in meiner Kehle. Ich drücke die Hände auf den Mund, das Geräusch ist mir peinlich. Ich kenne ihn doch erst seit ein paar Tagen. Aber ich mag ihn. Sehr. Soll ich jetzt vor ihm wie ein Baby losheulen?
Zane setzt sich in den Stuhl neben meinem und zieht eine meiner Hände vom Mund. Er hält sie sanft und fest zugleich, fährt mit den Fingern immer wieder über die Haut zwischen Daumen und Zeigefinger. Ein Schauer überläuft mich.
»Es ist noch jemand gestorben. Wieder eine Freundin meiner Schwester.«
Er beugt sich besorgt vor. Ich erzähle ihm vom Anruf meines Vaters und dass ich den ganzen Tag auf Mattie aufgepasst habe.
Ich sage ihm, dass ich Angst habe. Schreckliche Angst.
Ich habe Angst, dass meine Schwester das hier auch nicht überleben wird.
Die ganze Zeit über streichelt er meine Hände, und seine Berührung verleiht mir den Mut weiterzusprechen. Als ich fertig bin, sitzen wir einfach da. Auf der anderen Straßenseite läuft ein Mädchen in einem violetten Cape einem hechelnden Hündchen hinterher. Was würde ich darum geben, dieses Mädchen zu sein.
Ich drücke mich an ihn, verschmelze mit ihm und spüre einfach seinen Körper.
»Zane?«
»Ja?«
»Du hast deine Schwester erwähnt. Was ist mit ihr passiert?«
Er holt tief Luft und atmet langsam aus. »Sie ist kurz nach ihrer Geburt im Krankenhaus gestorben. Ich weiß nicht genau, was sie hatte. Meine Mutter redet nicht gern darüber.«
Seine Augen verdunkeln sich, als er das sagt. Ich denke an den Schmerz, den er in seinem Leben durchgemacht hat – den Selbstmord seines Vaters, den Tod seiner Schwester. Ich frage mich, ob es manchen von uns einfach bestimmt ist, solche Tragödien zu erleben. In dieser Hinsicht sind wir uns ähnlich.
»Das muss furchtbar für dich gewesen sein.«
»Wie gesagt, ich kann mich kaum an sie erinnern. Aber ich mache mir Sorgen um meine Mom. Seit wir wieder hier sind, wird sie von der Vergangenheit verfolgt. Sie läuft wie in Trance herum. Ich versuche, zu ihr durchzudringen, damit sie etwas unternimmt und sich mit Leuten trifft. Aber sie will nicht. Sie ist … fixiert.«
Dass er sich Sorgen um seine Mutter macht, rührt mich. Ich umarme ihn ganz fest. Er drückt seine Nase an meinen Hals, dann seine Lippen.
Als er mich dann küsst, kommt es mir vor, als würden die Lügen und der Tod und das Böse, die mich umgeben, langsam dahinschmelzen. Ich bin ein neuer Mensch.
19. Kapitel
I ch schaue kurz bei Mattie hinein, bevor ich am nächsten Tag zur Schule gehe. Sie rührt sich nicht. Sie schläft den traumlosen Schlaf, den das Ambien bringt, und das ist gut so. Ohne Schlafmittel würde sie wer weiß was träumen. Von sterbenden Cheerleaderinnen und zerstörten Körpern. Es ist besser, sie knipst sich aus. Einen Moment lang halte ich inne und frage mich, ob ich lieber bei ihr bleiben soll, aber so lange mein Vater hier ist, dürfte sie sicher sein.
In der Einfahrt wartet Zane. Ich denke an das Chaos, das uns in der Schule erwartet. Für diesen Tag hat der Direktor den regulären Unterricht abgesagt und eine Versammlung einberufen.
Als wir dort ankommen, müssen wir auf der gegenüberliegenden Straßenseite parken, weil das Footballfeld und der größte Teil des Parkplatzes mit gelbem Band abgesperrt sind.
Mitglieder von Kluge Wahl führen die Schüler in die Turnhalle. Sie tragen T-Shirts, auf denen steht:
Schlecht drauf? Rede drüber
. Auf der Tribüne drängen sich hektische Schüler und einige besorgte Eltern. Ich bleibe davor stehen und betrachte die Reihen. Rollins ist nirgendwo zu sehen. Scotch übrigens auch nicht.
Überall kursieren Gerüchte. Jeder hat seine eigene Theorie über Ambers Schicksal. Einige flüstern, sie sei eifersüchtig gewesen, weil Sophie eine Affäre mit Mr Golden hatte. Andere behaupten, sie habe sich umgebracht, weil sie Schuldgefühle wegen Sophies Tod hatte. Jeder weiß, dass sie das Nacktfoto an die gesamte Footballmannschaft geschickt hat.
Am liebsten
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