Slide - Durch die Augen eines Mörders
Problem«, bemerke ich.
»Nun, bei Rollins ist das etwas anderes. Aber dieser Junge, Zane, von dem hast du mir nichts erzählt. Dann taucht er aus heiterem Himmel hier auf, und ich finde euch beide … nun ja … im Bett.«
Die Hitze schießt mir ins Gesicht. »So war es nicht.«
»Nun, wie war’s denn dann, Sylvia?«
Ich wende mich ab. Im Papierkorb unter seinem Schreibtisch liegt noch immer das zerknüllte Foto der weißhaarigen Frau. Ich balle die Fäuste.
»Wie kannst du es wagen, mir Vorwürfe zu machen, weil ich dir nicht jede Kleinigkeit erzähle? Mal ehrlich, du hast doch mehr Geheimnisse als ich.«
Sein funkelnder Blick wird schwächer, ich erkenne den Riss in seiner Rüstung. Ich habe seine Achilles-Ferse gefunden, das, was er die ganze Zeit vor uns versteckt hat. Ich bücke mich, hole das Foto heraus und streiche es auf dem Schreibtisch glatt.
»Würdest du mir bitte sagen, wer das hier ist?«
Sein Gesicht wird immer blasser. Er starrt das Foto an, als wäre es etwas Lebendiges, ein wildes Tier, das ihn jederzeit anspringen kann.
»Das – das ist alles lange her«, sagt er schließlich.
»
Was
ist lange her?«
Er kneift die Augen zu, als wollte er etwas verdrängen. »Meine Affäre.« Seine Stimme ist so leise, dass ich ihn kaum verstehen kann.
»Eine Affäre? Mit wem hattest du eine Affäre? Mit dieser Frau hier?«
Er seufzt. »Ja. Aber es ist schon lange vorbei, Vee.«
Ich nehme das Foto und schaue die weißhaarige Frau verblüfft an. Das soll die Geliebte meines Vaters gewesen sein?
»Wann genau warst du mit ihr zusammen?« Ich fürchte mich vor der Antwort.
»Als du klein warst«, sagt er sanft und bestätigt meine Befürchtungen.
»Als Mom noch lebte?«
Er nickt und will meine Hand ergreifen, aber ich sehe vor meinem inneren Auge nur meine Mutter, die langsam vom Krebs aufgefressen wird, während er es mit der weißhaarigen Frau treibt. Ich stehe da, halte das Foto fest umklammert. Dann überkommt mich das starke Bedürfnis, ihren Namen zu erfahren.
»Wer ist sie?«
»Ist das wichtig? Es ist doch vorbei.«
»Wenn du ihr Foto noch in deinem Arbeitszimmer hast, ist es nicht vorbei. Wenn sie dich anruft, ist es nicht vorbei.«
Er ist verblüfft. »Woher weißt du, dass sie angerufen hat?«
»Egal. Wie. Heißt. Sie?«
Wir messen uns mit Blicken. Schließlich wendet er sich ab. »Evelyn. Evelyn Morrow.«
Morrow.
Den Namen kenne ich. Er stand auf dem Grabstein. Der Name des kleinen Mädchens, das unter dem Messer meines Vaters gestorben ist. Hat er mit Allisons Mutter geschlafen? Das ergibt doch keinen Sinn. Weshalb sollte er mit der Mutter seiner Patientin schlafen? Doch wenn ich ihn das fragen wollte, müsste ich gestehen, dass ich seine Schreibtischschublade aufgebrochen und seine persönlichen Papiere durchsucht habe.
Stattdessen frage ich: »Warum?« Ich könnte mich verfluchen, weil meine Stimme bricht, als wäre ich den Tränen nah. Ich hasse die Schwäche, den Schmerz, der in dieser kurzen Frage liegt.
Sein Gesicht ist ganz bleich geworden. Es sieht aus, als hätte ich ihn geschlagen.
Er schweigt.
Dann stürme ich hinaus und knalle die Tür hinter mir zu.
26. Kapitel
I ch stehe vor Matties Tür und betrachte die glitzernden
Mein kleines Pony
-Sticker, die sie als kleines Mädchen dorthin geklebt hat. Sie hört wieder
Black
von
Pearl Jam
. Ich klopfe an die Tür.
»Was willst du?«
»Es ist fast sieben. Bist du angezogen?«
Als Mattie nicht antwortet, gehe ich hinein. Sie sitzt in Unterwäsche auf dem Bett und schaut durchs Fenster in die Dunkelheit.
»Willst du so zu Samantha gehen?«
Sie sagt nichts.
Ich schaue in ihren Kleiderschrank. Sie hat seit Tagen nichts gewaschen und die schmutzigen Sachen einfach auf den Boden geworfen. Auf den Bügeln hängen nur noch ein paar Shirts, eine Jeans und ein Rock. Ich nehme ein rosa T-Shirt mit langen Ärmeln und die Jeans heraus und will zum Bett gehen. Doch meine Knie geben nach, und meine Muskeln werden zu Pudding.
Als Nächstes schaue ich in mein eigenes Gesicht, als sich meine Schwester über mich beugt. Ich bin in Mattie gewandert. Nun sehe ich alles aus ihrer Perspektive – auch meinen eigenen Körper. Es ist völlig surreal.
»Vee? Vee? Alles in Ordnung?« Sie rüttelt mich an den Schultern, und ich verdrehe die Augen.
»O Gott. O Gott. Es tut mir leid. Es ist meine Schuld. Ich ziehe mich sofort an. Ich gehe auf die Party. Wach bitte auf.« Ihre Tränen tropfen auf mein Gesicht. Ich kann es nicht
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