Slide - Durch die Augen eines Mörders
Augen werden dunkler, vielleicht ist es auch nur das Licht im Zimmer. Ich bin mir nicht sicher.
»Na ja, mit Zane, aber auch mit Mattie, sie macht eine schwere Zeit durch. Ich versuche, für sie da zu sein.« Ich bemerke, dass er ein Heft in der Hand hat. Hat er sich in den letzten Tagen etwa damit beschäftigt – einem neuen Magazin?
»Hier«, er hält es mir hin. »Das habe ich dir mitgebracht. Ganz frisch aus der Presse.«
Ich nehme das Heft und untersuche es. Auf dem Cover ist ein Schwarzweiß-Foto von Sophie Jacobs und Amber Prescott in ihren Cheerleader-Kostümen zu sehen. Ich erkenne das Foto, er hatte es in seinem Zimmer. Hat er die Fotos von den beiden für sein Magazin gesammelt? Dann muss er deshalb an dem Abend mit Amber auf dem Footballfeld gewesen sein. Ich erinnere mich, dass sie ihm etwas gegeben hat – sicher waren es Fotos von ihr und Sophie.
Darüber steht mit dickem Edding:
Angst und Schrecken in der Highschool Nr. 8 : die Sophie Jacobs und Amber Prescott Sonderausgabe
. Ich blättere durch das Heft. Im ersten Teil erinnert sich so ziemlich jeder in der verdammten Schule an die beiden Mädchen. Dann folgt eine Liste von Songs, die Mitschüler den beiden gewidmet haben. Selbst Mattie hat mitgemacht und ihren toten Freundinnen
Stand by me
zugedacht. Warum hat sie mir nicht erzählt, was Rollins vorhat?
Erleichterung durchflutet mich, und erst jetzt begreife ich, wie entsetzlich es für mich gewesen wäre, wenn Rollins die beiden ermordet hätte. Ich packe ihn an den Schultern und umarme ihn heftig, drückte ihn so sehr, dass meine Muskeln wehtun.
»Mensch, gefällt es dir so gut?«
»Das ist wunderbar, Rollins, ganz ehrlich.« Ich trete zurück und sehe ihn an. Er zupft verlegen an seinem Lippenring.
»Ich wollte etwas tun. Wie geht es Mattie?« Er holt einen Edding aus der Tasche seiner Lederjacke und dreht ihn zerstreut zwischen den Fingern.
»Nicht so toll. Aber heute Abend haben wir was vor – wir gehen auf eine Überraschungsparty zu ihrem Geburtstag bei Samantha. Für mich natürlich beschissen, aber so kommt Mattie wenigstens mal unter Menschen.«
Rollins verzieht das Gesicht. »Bei
Samantha
?«
»Ich weiß.« Und dann überkommt mich das intensive Verlangen, Rollins noch einmal zu umarmen, den Menschen, der weiß, was mir in der zehnten Klasse passiert ist, der immer für mich da war. Wie dumm von mir, an ihm zu zweifeln.
»Es tut mir leid, dass ich mich so blöd verhalten habe.«
Er zuckt mit den Schultern. »Ist für alle schwer. Schon kapiert. Aber ich wollte noch über was anderes mit dir reden.« Er lässt den Edding von einer Hand in die andere wandern, seine Angst ist deutlich zu spüren.
»Klar doch.« Ich ziehe ihn zum Bett und setze mich neben ihn. »Was ist los?«
Er klopft nervös mit dem Stift auf seinen Oberschenkel. »An dem Abend …«, er hält inne und fängt noch mal an. »An dem Abend, an dem Amber gestorben ist …«
»Ja?«
»Da habe ich sie getroffen.« Er lässt den Stift nicht aus den Augen. »Ich hatte sie gebeten, mir ein paar Fotos von Sophie für das Magazin zu geben. Sie sagte ja, wollte sich aber mit mir auf dem Footballfeld treffen. Sie verhielt sich ziemlich merkwürdig.«
Ich atme aus, bin erleichtert, weil meine Hypothese richtig war. Leider war Amber nicht bewusst, dass sie ihm die Fotos für ihre eigene Gedenkausgabe geliefert hat.
»Wieso merkwürdig?«
»Sie hat gesagt, ich solle Mattie ausrichten, dass es ihr leid tue und dass alles ihre Schuld sei. Dann hat sie angefangen zu weinen und gesagt, alle würden sie für eine Hure halten und dass ihr ganzes Leben ein Witz sei. Ich wollte ihr klarmachen, dass es nicht stimmt, aber sie wurde sauer und hat mich weggeschickt. Ich dachte, sie würde einen auf Diva machen, und habe sie allein gelassen. Ich hätte nie gedacht, dass sie …«
Seine Hände zittern. »Ich weiß, ich hätte die Polizei anrufen sollen, als ich von ihrem Tod erfahren habe, aber ich hatte solche Angst. Ich dachte, die geben mir die Schuld.«
Ich ergreife seine Hand und versuche, sie still zu halten. »Vertrau mir, Rollins, alles wird gut. Aber du musst der Polizei unbedingt sagen, was du weißt.«
»Klar, du hast ja recht. Ich muss es ihnen sagen.« Er versucht, sich selbst davon zu überzeugen.
»Weißt du was, ich komme mit. Aber erst morgen, heute Abend muss ich mich um meine Schwester kümmern.«
»Vee?« Er fährt mit dem Finger über meine Handfläche. »Du fehlst mir.«
»Du mir auch«,
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