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Slow Travel: Die Kunst Des Reisens

Slow Travel: Die Kunst Des Reisens

Titel: Slow Travel: Die Kunst Des Reisens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Kieran
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dem Odysseus aus Homers Odyssee . Ich weiß nicht, ob heutzutage irgendjemand den durchschnittlichen Urlauber mit solchen Heroen würde vergleichen wollen.
    Lees Abenteuer beginnt damit, dass er aus seiner Haustür hinaus ins Unbekannte tritt. Obwohl die meisten von uns, mich eingeschlossen, es ihm unmöglich gleichtun könnten – was wäre mit unseren Jobs, Familien und Verpflichtungen –, können wir uns alle zumindest einen Tag lang seine Haltung zu eigen machen. Ich fragte mich, ob es wohl möglich wäre,auf einer Tageswanderung einen Hauch von dem erleben zu können, worüber Lee so bewegend schreibt.
    Seit ich sechs Jahre alt war, bin ich regelmäßig im Auto von Chichester nach South Harting gefahren, einem Dorf auf der anderen Seite der South Downs. Die Landschaft auf dieser Strecke ist 30 Jahre lang relativ unverändert geblieben. Nachts durch die Downs zu fahren fand ich als kleines Kind unheimlich, und ich entspannte mich erst, wenn wir auf der anderen Seite waren. Als ich älter wurde, fand ich diese Wildnis ungemein fesselnd, doch in all den Jahren, in denen ich erst zu Besuch kam und dann hier lebte, habe ich die Strecke niemals zu Fuß erkundet. Ich habe mich nie in der Landschaft verirrt. Das war jetzt mein Plan. Ich war aufgeregt und ein wenig sauer auf mich selbst, dass ich bisher nie darauf gekommen war, etwas so Naheliegendes zu tun.

    Ich brauchte 25 Minuten, um aus der Stadt hinauszukommen, und hielt an einem Kiosk, um meinen Rucksack mit Snacks zu füllen, damit ich später nicht vor Entkräftung zusammenbrach. Die Hauptstraße, die ich beinahe jeden Tag benutze, wenn ich Wilf zur Schule fahre, hatte für einen Fußgänger kaum Besonderheiten zu bieten, nur die Plastiktüten, die die Kinder im Sommer in die Buchenhecken geworfen hatten, kamen nun zum Vorschein, als die Hecken ihre verwelkten Blätter verloren. Die Sonne stand tief in meinem Rücken und würde an diesem Tag mein einziger Begleiter sein. Ich duckte mich unter einer Brücke hindurch und entdeckte, dass die ehemalige Bahntrasse nach Norden bis zu dem Dorf West Dean asphaltiert worden war. Die alte Schneise schirmte mich von den Siedlungsbauten ab, die inden letzten 50 Jahren entstanden sind. Ich machte eine Pause und versuchte, die Blätter zu fangen, die von den Bäumen fielen, sie sollten mir Glück für meinen Ausflug bringen. Obwohl ich mich mit meinen Pirouetten vor einer Reihe von Joggern und Müttern mit Kinderwagen lächerlich machte, fing ich kein einziges. Ein gutes Stück die Straße hinunter, als ich es gar nicht mehr versuchte, hielt ich die Hand auf, und ein Blatt landete auf meiner Handfläche, was mir ein passendes Vorzeichen zu sein schien.
    Der Herbst hätte eigentlich schon dem Winter weichen müssen, und die Eichhörnchen, die über den breiten, mit Laub übersäten Weg sprangen, schienen von der für die Jahreszeit ungewöhnlich warmen Luft leicht benebelt zu sein. Fälblinge und Schopftintlinge lugten aus den matschigen Spalten zwischen dem Asphalt und dem Eichenlaub hervor. Schließlich führte mich der Weg aus der Schneise heraus, und die Sonne wärmte meine Schultern. Ich konnte die South Downs am Horizont ausmachen, unter weit entfernten Wolken, die die Farbe von weißen Spüllappen hatten, die zu lange im Ausguss gelegen haben. Die Downs schienen erstaunlich weit weg zu sein. Für mich waren sie zugleich das Nebelgebirge, das Mumintal und der Hundertmorgenwald. Da ich kein bisschen Augenmaß habe, wenn es darum geht, Entfernungen abzuschätzen, hielt ich an und maß die Strecke auf meiner Karte mit meinem Zeigefinger ab. Zwanzig Kilometer würde ich locker schaffen.
    Der Duft von gelbem Ginster und braun werdenden Farnen begleitete mich, als ich zu einem kleinen Hügel kam, der eine Straße trug, die über meinen Kopf hinwegführte. Erst als ich darunter stand, fiel mir auf, dass es sich um eine Brücke handelte, über die ich bestimmt tausendmal mit meinem Vater gefahren war, der jedes Mal hupte, um sicherzugehen, dass uns niemand entgegenkam. All die Jahre war der Weg,auf dem ich gerade aus der Stadt gekommen war, mir völlig unbekannt gewesen.
    Zehn Minuten später kletterte ich eine Böschung hinauf, verließ die alte Bahnlinienstrecke und nahm die Hauptstraße, die durch das Dorf Lavant führt. Der gleichnamige Fluss, der nicht das ganze Jahr Wasser führt, zog sich eine Weile unter mir hin, bis er in einer Wiese verschwand. Zu meiner Rechten entdeckte ich einen Aussichtspunkt namens »The

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