Slow Travel: Die Kunst Des Reisens
Trundle«, den ich kürzlich besucht hatte, vor allem deshalb, weil Ortsansässige mir versichert hatten, es sei der Ort, der William Blake dazu inspiriert hatte, in seinem Gedicht »Jerusalem« so eindringlich über die englische Landschaft zu schreiben. Bevor ich mich auf den Weg machte, hatte ich einige Stunden im örtlichen Antiquariat verbracht, um Belege für diese und einige andere vollmundige Behauptungen über meine unmittelbare Nachbarschaft zu finden. Es lässt sich nicht mit Bestimmtheit feststellen, ob dieser Ausblick Blake zu den Worten »grünes und liebliches Land« inspiriert hat, aber er verbrachte einige Jahre in Felpham, einem Küstenort in der Nähe von Bognor Regis, und es ist bekannt, dass er einmal in der Woche nach Lavant ritt, um Freunde zu besuchen. Und von seinem Schlafzimmerfenster aus konnte er die Downs sehen.
Ich verließ »Jerusalem« und hatte vor, nur noch eine Weile auf der A286 zu bleiben. Ich wollte die alte römische Straße finden, die mich zu den South Downs bringen würde, die weit entfernt auf der anderen Seite des Waldes am ansteigenden Horizont lagen. Sie war auf meiner Karte deutlich markiert und verlief in einer typischen geraden Linie hinter einem Haus an der Straße. Die Landstraße nach South Harting tauchte in ein Tal zu meiner Linken ab, während ich den Hügel hinaufstapfte. In dem Getöse der vorbeifahrenden Sattelschlepper wich meine gute Laune bohrenden Zweifel. Die vertraute Landschaft hatte sich ausgedehnt,weil ich so langsam vorankam, und mein Gehirn bemühte sich, die Standardparameter zu aktualisieren, die es sonst zugrunde legte, wenn es diese Umgebung interpretierte – meistens durch das Fenster eines fahrenden Autos. Ich hatte eine Stunde gebraucht, um eine Strecke zurückzulegen, die mich normalerweise weniger als zehn Minuten gekostet hätte, und die Straße und die Abgase vermischten sich mit meiner neurologischen Verwirrung und drohten meinen blinden Optimismus zu zerstören.
Nachdem ich den von Schlaglöchern übersäten Seitenstreifen und die donnernden Laster hinter mir gelassen hatte, fand ich schließlich das Haus, das ich suchte, aber nicht den dahinter liegenden Pfad. Hecken und Zäune verliefen kreuz und quer über die Felder vor mir, wo er hätte sein sollen. Das war ziemlich entmutigend. Ohne den Pfad schien es keine Möglichkeit zu geben, dorthin zu gelangen, wo ich hinwollte.
Nachdem ich eine Weile vergeblich gesucht hatte, fand ich ein halb offen stehendes Gatter, durch das man auf das Gelände eines Gutshofs gelangen konnte. Verzweifelt hoffte ich, dass ich so zu einem weiter oben gelegenen Feld kommen würde, wo ich sicherlich auf den Pfad stoßen würde. Ich ging zögernd weiter und linste nach den Fenstern des Hauses, doch niemand schien mich zu bemerken. Endlich konnte ich in einem Gehölz aus Buchen und Stechpalmen untertauchen. Der Boden war so trocken wie Zunder. Ich sah auf meine Uhr, doch ich bemerkte, dass ich nicht mehr vollständig von ihr beherrscht wurde. Da fiel mir auf, dass »es« geschehen war. Unterwegs hatte ich eine Pforte durchschritten, und sowohl meine Geistesverfassung als auch mein Blickwinkel hatten sich verändert. Es kam mir vor, als wäre ich schon viel länger unterwegs – oder vielleicht viel intensiver – als die Minuten und Sekunden, die meine Uhr anzeigte. Als ich mich in dem abgelegenen Gehölz auf dieausgetrocknete, krustige Erde setzte, wusste ich, dass ich tatsächlich auf meinem Weg war.
Im 19. Jahrhundert schrieb Henry David Thoreau im Nachwort zu Walden oder Leben in den Wäldern (seiner Abhandlung über den Rückhalt, den man im einfachen Landleben, weit weg von der geschäftigen Welt, finden kann): »Wenn jemand mit seinen Gefährten nicht Schritt hält, so tut er es vielleicht deshalb nicht, weil er einen andern Trommler hört. Lasst ihn zu der Musik marschieren, die er hört, wie auch ihr Takt und wie fern sie selbst auch sei.« Solche edlen und weisen Worte verlieren etwas von ihrer Wirkung, wenn man erfährt, dass ihm in seinem ländlichen Idyll viele der täglichen Haushaltspflichten von seiner Mutter abgenommen wurden. Dennoch bin ich überzeugt davon, dass dieser Impuls, langsamer zu werden, von allen Reisenden geteilt wird. Dabei frage ich mich, ob wir tatsächlich alle eine andere Musik hören, wie Thoreau sagt, oder ob manche Menschen nicht einfach eine andere Zeitvorstellung haben. Der Reiz, im Hier und Jetzt zu leben, der das eigentliche Ziel aller Reisen ist, offenbart
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