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Smart Magic

Smart Magic

Titel: Smart Magic Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Hardebusch
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Folgen sein mochten. »Kann ich jetzt rein? Ich bin müde.«
    Der Alte sah ihn forschend an. Aber diesmal schaute Tom nicht weg, sondern hielt dem Blick mit unbewegter Miene stand. Früher hätte er Angst gehabt, doch jetzt war da nichts in ihm, nur diese große Leere.
    »Gut«, brummte der Alte schließlich und ließ ihn los. Tom drückte sich an ihm vorbei und betrat das Haus, das wohl oder übel sein Zuhause war. Und bleiben würde.
    In dieser Nacht und der nächsten lag er schlaflos im Bett und dachte über das nach, was die Mitarbeiterin vom Jugendamt ihm gesagt hatte. In dieser Zeit reifte ein Entschluss in ihm. Seine Vergangenheit war egal; er hatte keine. Tom vergrub den Schmerz tief in sich. Seine Eltern hatten ihn nicht gewollt, und er redete sich ein, dass er sie auch nicht brauchte.
    Was ihm blieb, war der seltsame Fremde mit seinem Gerede über Münzen und Reisen. Er war auf ein Geheimnis gestoßen, oder das Geheimnis hatte ihn gesucht, und er flüchtete sich in den Versuch, es zu lüften. Je weniger er über die anderen Neuigkeiten nachdenken musste, umso besser. So nannte er es inzwischen: die anderen Neuigkeiten.
    Während die letzten Tage der Ferien verstrichen, begann Tom also mit Nachforschungen. »Habt ihr schon mal von einem Haus der Gräber gehört?«, fragte er auf Facebook. Hier fiel es ihm viel leichter, über das zu reden, was er erlebt hatte.
    Er hatte keine Ahnung, wie sie darauf gekommen war, aber Elke schrieb: »… guck mal, ob in deiner Nähe ein jüdischer Friedhof ist.«
    »Check erst mal in den gelben Seiten, ob es nicht ’nen Gothic-Schuppen gibt, der Haus der Gräber heißt«, frotzelte Gregor.
    »Also ich denke, Elke hat recht«, meinte Anna. »Gerade da bei jüdischen Friedhöfen auch keine Blumen auf die Gräber gelegt werden, sondern kleine Steine zur Erinnerung an die Wüste, wo es auch keine Blumen gab. Und vielleicht liegen auf einem Grab nicht nur kleine Steine, sondern auch eine Münze.«
    Benjamin griff die Idee mit der Münze auf und schlug ihm vor, den Friedhof Große Hamburger Straße zu besuchen. »Interessant ist, dass dort der Münz- und Silberkaufmann Daniel Itzig begraben wurde. Ob der ein paar seiner Münzen mit ins Grab genommen hat?« Und Gregor, inzwischen wieder ernst geworden, riet Tom, auf jeden Fall mit Vorsicht an die Sache ranzugehen: »Die haben strenge Regeln. Du bist über dreizehn und brauchst eine Kopfbedeckung.«
    »Ihr seid ja super«, tippte Tom.
    Und so machte er sich am ersten Schultag, als nachmittags eigentlich Sport auf dem Plan stand, auf, um den Friedhof Große Hamburger Straße zu besuchen.
    Nachdenklich setzte er seine Baseballkappe auf, bevor er sich dem eisernen Zaun näherte, der das Gelände umgab.
    Auf den ersten Blick war der Ort eine große Enttäuschung. Von dem Friedhof war wenig übrig geblieben, und eine Gedenktafel erklärte auch, wieso: Er war in der Nazizeit geschändet worden. Tom fluchte leise und dachte nur Scheiß-Nazis . Inzwischen war der ehemalige Friedhof ein Park mit hohen Bäumen und Rasenflächen und einer Gedenkstätte, aber es waren nur noch wenige Grabsteine dort.
    Was, wenn das hier nicht der richtige Friedhof ist? Er konnte ja schlecht alle jüdischen Friedhöfe in Berlin abklappern, geschweige denn in Deutschland oder wer weiß wo.
    Erschöpft setzte sich Tom auf einen Randstein am Weg. Die Sonne schien zwischen den Bäumen hindurch. Es war sehr warm, richtig sommerlich. Kleine Insekten schwirrten durch die Luft, und in den Ästen zwitscherten Vögel. Es hätte eine beruhigende Szene sein können, aber Tom traten vor Enttäuschung Tränen in die Augen.
    »Alles, aber auch wirklich alles geht schief«, flüsterte er. »So eine …«
    Ein Krächzen ließ ihn mitten im Satz innehalten. In einem der Laubbäume saß ein großer schwarzer Vogel, wie ein Schatten im flirrenden Sonnenlicht. Tom wusste – wusste ganz sicher –, dass es der Rabe war, den er schon einmal gesehen hatte, obwohl er nicht mit Bestimmtheit hätte sagen können, woher er das wusste. Er kramte in seinen Taschen nach dem Müsliriegel, den er eingesteckt hatte. Nur für den Fall, dass die Leute auf FB recht hatten.
    Der Rabe sah zu ihm herunter. Ihre Blicke trafen sich. Hinter den schwarz glänzenden Augen des Raben sah Tom mehr als nur das Tier. Er spürte plötzlich, wie sein Körper leicht wurde, glaubte, jeden Moment zu schweben. Seine Gedanken rasten schneller, als er sie erfassen konnte, sein Puls beschleunigte sich, seine Haut

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