Smart Magic
Alte überhaupt noch gehen würde, öffnete sich die Haustür, und die lange Gestalt ihres Ziehvaters trat heraus. Sofort duckte sich Tom hinter die Gardine und hielt die Luft an, als könne der Alte ihn von da unten durch das geschlossene Fenster hören.
»Mach dich mal locker«, murmelte Alex und legte sein Handy zur Seite. »Ist er weg?«
»Gleich«, antwortete Tom mit leiser Stimme. Er konnte nichts dagegen machen – schon allein der Anblick des Alten sorgte dafür, dass sich seine Hände unwillkürlich zu Fäusten ballten.
Alex stellte sich neben ihn und warf ebenfalls einen Blick aus dem Fenster. Der Alte ging die paar Schritte bis zur Straße, sah prüfend zum Himmel empor, sodass Tom fast das Herz stehen blieb, und setzte sich dann einen grauen Hut auf.
»Mann, das war vor fuffzig Jahren vielleicht mal in«, flüsterte Alex. Selbst er ist leise, stellte Tom fest. Der Alte zog die Schultern hoch und ging den Bürgersteig entlang. Sie warteten, bis er hinter dem Zaun außer Sicht geriet, und dann noch einige Minuten. Alex zog einen dunkelblauen Pullover über und sah Tom erwartungsvoll an.
»Fertig?«
Tom holte tief Luft, und dann gab er sich einen Ruck.
»Okay.«
Sie gingen durch den Flur und die Treppe hinunter, als sei alles in Ordnung. Nicht, dass die Jüngeren ihnen Fragen stellen würden, aber sie wollten auch nicht, dass sie irgendwas bemerkten. Vermutlich würde es noch eine Weile dauern, bis auch die anderen Kids feststellten, dass der Alte wirklich weg war und sie versuchen konnten, das Beste aus dem Tag zu machen.
In der Küche holte sich Alex eine Dose Billigcola aus dem Kühlschrank. Sie sahen sich kurz an, dann stellte sich Alex lässig an die Tür zum Flur und trank das Gesöff.
Tom schlich mit pochendem Herzen zu der verschlossenen Tür zu den Zimmern des Alten und lauschte erst einmal daran; er hörte nichts. Es war eine einfache Holztür mit einem simplen Schloss. Tom fingerte das Werkzeug aus seiner Tasche, das er mal im Netz bestellt hatte, als Spielerei und Fingerübung, und sah sich das Schloss genau an. Er kannte die Grenzen seines Könnens: Eine Haustür mit einem vernünftigen Schloss oder gar einem Sicherheitsschloss wäre für ihn nicht machbar gewesen. Aber dieses Schloss war nicht dafür gedacht, vor Einbrechern zu schützen; es sollte nur für Privatsphäre sorgen.
Der Alte hatte zwar ein besseres Schloss als ein gewöhnliches Buntbartschloss einbauen lassen, aber Tom hatte auch schon an schwierigeren Zylinderschlössern geübt. Er schob den selbst zurechtgebogenen Spanner hinein und drehte den Zylinder die wenigen Bruchteile von Millimetern, die er sich bewegte, bevor er mit einem weiteren hakenförmigen Draht langsam die Stifte ertastete. Es dauerte lange, bis er den ersten gefunden und richtig gesetzt hatte. Der Zylinder bewegte sich ein winziges Stück weiter.
»Das dauert ja ewig. Was machst du denn da so lange?«, zischte Alex von der Tür her.
»Klappe«, fauchte Tom zurück. Er konnte einen Schweiß tropfen spüren, der ihm über die Schläfe lief. Er blies sich die Haare aus der Stirn.
Ein zweiter Stift glitt zurück, und wieder ließ sich der Zylinder des Schlosses ein kleines bisschen weiter drehen.
»Komm schon«, murmelte Tom leise. Er hatte das Gefühl, dass seine Finger zitterten, und seine Knie taten ihm plötzlich weh. Aufregung brandete durch seinen Körper. Er fühlte mit dem Haken im Schloss herum, fand aber den dritten Stift nicht. Dabei konnte er beinahe spüren, wie seine Finger feucht wurden, und er fürchtete, jeden Moment abzurutschen. Ob er noch einmal die Ruhe aufbringen konnte, einen weiteren Versuch zu wagen, wenn der erste misslang? Nein! Ich muss das jetzt durchziehen!
Vorsichtig tastete er weiter, glaubte, den Stift gefunden zu haben, übte vorsichtig Druck aus. Unvermittelt klickte es leise, und der Zylinder drehte sich ganz.
»Ich hab’s.« Triumphierend blickte Tom zu Alex hinüber und steckte sein Werkzeug ein. Er legte eine Hand auf die Tür, die andere an die Klinke. Ganz sacht drückte er sie herab, und die Tür öffnete sich.
Die Räume dahinter waren düster. Die Jalousien waren herabgelassen, und das Licht von draußen fiel nur durch schmale Schlitze herein.
»Mach hinne«, befahl Alex mit einem drängenden Ton in der Stimme. Tom folgte der Aufforderung und betrat die Zimmer des Alten. Dabei kam er sich wie ein Dieb vor, der ein Heiligtum ausrauben will. Eine Kirche. Oder die Pyramiden. Fast erwartete er, überall
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