Smart Magic
gleichzutun, und schon bald war alles, was er noch wollte, weiterhin einen Fuß vor den anderen zu setzen, einfach nur weiterzulaufen, weiterzuatmen, ohne zu stolpern und auch ohne nachzudenken. Sie glitten durch das Gräsermeer wie Fische durchs Wasser. Die Wärme der Sonnenstrahlen auf Toms Haut gab ihm neue Kraft. Er konnte geradezu spüren, wie seine Erschöpfung nachließ, wie sein Schritt sicherer wurde, schneller und sein Atem regelmäßiger. Es war, als ob das Licht der Sonne direkt durch ihn strömte und ihm die Kraft verlieh, die er für diesen wahnsinnigen Lauf benötigte, und als er den Kopf hob, sah er, dass ihnen der Rabe tatsächlich folgte, ein dunkler Schemen am Himmel.
Noch bevor die Sonne ihren höchsten Stand erreichte, entdeckten sie vor sich eine dunkle Gestalt, die mit langen, schwerfälligen Schritten ungefähr in dieselbe Richtung lief wie sie. Tom verzog das Gesicht – das musste der Troll sein, dem er schon einmal begegnet war. Vielleicht habe ich mir seine Fratze letzte Nacht ja nur eingebildet, hoffte er wider besseren Wissens. Der umstürzende Turm, der Staub, die Reiter, wäre ja kein Wunder, wenn man da Sachen sieht, die es eigentlich nicht gibt. Vielleicht ist Troll ja nur so eine Art Spitzname?
Aber seine Hoffnung erfüllte sich nicht. Die Gestalt bemerkte sie und hielt inne, sodass sie schnell zu ihr aufschlossen. Es war der Troll, und er war auch bei Tageslicht nicht weniger Furcht einflößend als bei Nacht. Ganz im Gegenteil, denn im Hellen war nun jedes Detail zu sehen, und es war vollkommen unmöglich, zu glauben, dass das ein Mensch sein könnte.
Die Haut des Trolls war grau und schien dick wie Leder zu sein. Er wirkte wegen seiner kurzen Beine und der breiten Schultern untersetzt. Schon auf den ersten Blick waren die mächtigen Muskeln zu sehen, die bei jeder Bewegung spielten. Der Kopf war groß, die Ohren dafür klein. Von Haaren keine Spur, weder auf dem Haupt noch am Körper. Gestern hatte Tom die Kleidung nicht bemerkt, aber das Wesen trug eine Art breiten Lederrock, der von zwei über der Brust gekreuzten Ledergurten gehalten wurde.
Offenbar um Tom nicht zu erschrecken, kam der Troll nicht auf sie zu und ging sogar in die Hocke, kurz bevor sie ihn erreichten. Nervös leckte sich Tom über die Lippen.
»Das ist Resk«, erklärte Matani und lächelte. »Er ist mein Freund. Und das hier ist Tom. Er kennt keine Trolle.«
»Doch, kenne ich«, protestierte Tom. »Ich hab den Herrn der Ringe auf DVD gesehen, und ich hatte ein paar Games, bei denen es Trolle gab. Waren aber immer die Gegner.« Er blickte entschuldigend von dem Mädchen zu dem Troll.
Die beiden sahen ihn verständnislos an. »Die Trolle sind bei euch Gegner von Geems?«, fragte Resk vorsichtig.
Von Matani kam zuerst gar keine Reaktion, dann zuckte sie mit den Achseln. »Diesen Ort kenne ich nicht«, erklärte sie ernst.
»Ort? Nein, nein, das ist kein Ort. Es sind Spiele, verstehst du? Am Rechner …« Seine Stimme verlor sich, da er erkannte, dass beide keine Ahnung hatten, wovon er sprach.
»Bei uns spielen wir Gerokk«, grummelte der Troll mit tiefer Stimme. »Mit Steinen.«
Tom verkniff sich einen zynischen Kommentar und nickte stumm.
Matani blickte zwischen ihnen beiden hin und her. Schließlich wandte sie sich an Resk: »Hast du jemanden gesehen?«
»Nein.« Die Stimme des Hügeltrolls war dumpf und tief. »Ich war ganz allein.«
»Gut. Wir sollten dennoch nicht lange verweilen. Vermutlich jagen sie uns noch immer. Wir müssen so schnell wie möglich Schutz finden.«
»Was für Schutz?«, hakte Tom nach.
»Einen Stamm meines Volkes. Sie werden uns aufnehmen, und es sind zu viele, als dass uns die Jäger einfach mitnehmen könnten.«
»Klingt gut. Dann mal los.«
Beide sahen Tom an, wieder ohne zu verstehen.
»Aufbruch?«, fragte er vorsichtiger.
Diesmal setzten sich Resk und Matani in Bewegung, und Tom folgte ihnen. Tief in seinem Inneren spürte er die Ungeheuerlichkeit der Situation, aber die Ereignisse ließen ihm keine Zeit, seine Lage groß zu überdenken. Es war, als habe man ihn in einen reißenden Fluss geworfen, und nun musste er einfach schwimmen, wenn er nicht untergehen wollte, sich vollkommen auf das Hier und Jetzt konzentrieren.
Sie waren noch keine Stunde gelaufen, als Matani über ihre Schulter sah und sich dann anstandslos zu Boden warf.
Nach einer Schrecksekunde folgte Tom ihrem Beispiel, und auch Resk kauerte sich in das hohe Gras.
Langsam kroch Tom auf Matani zu.
Weitere Kostenlose Bücher