Smart Magic
herkommst?«
»Nee«, brachte Tom hervor. »Keine Trolle.«
»Er ist vorgelaufen, um dich nicht zu erschrecken, während ich auf dich gewartet habe. Er wird dir nichts tun.«
Ihre Beteuerung war nicht sehr beruhigend, aber Tom wollte nicht weiter an das graue Wesen mit den Hauern denken.
»Wieso hast du auf mich gewartet?«
»Nicht deinetwegen«, stellte sie trocken fest. »Du warst dumm, zurückzulaufen. Ich habe seinetwegen auf dich gewartet.« Sie wies mit der Hand zum Himmel.
Zuerst erkannte Tom nichts außer dem sich langsam aufhellenden Firmament, dann sah er einen Schatten über sich. Ein großer Vogel drehte eine Runde, glitt zu ihnen herab und landete kaum fünf Meter von Tom entfernt. Es war ein Rabe, deutlich größer als alle, die Tom bislang gesehen hatte. Seine Federn wirkten im Zwielicht schwarz wie Pech. Er sah Tom mit schief gelegtem Kopf an, dann begann er, sich das Gefieder zu putzen, als wäre die Anwesenheit der beiden Menschen für ihn nichts Besonderes.
Aus irgendeinem Grund fand Tom die Gegenwart des Raben tröstlich. Es kam ihm vor, als würde er einen alten Bekannten sehen, ausgerechnet hier, wo ihm alles sonst fremd und feindlich erschien.
»Ist das deiner?«, fragte er verwirrt. »Ist er zahm?«
Das Mädchen lachte, und er hatte das ungute Gefühl, dass es sich schon wieder über ihn lustig machte.
»Meiner? Nein. Es ist wohl eher deiner.«
Vorsichtig stand Tom auf. Der Rabe hob seinen Schnabel und sah ihn an. Es lag eine Spannung in der Luft zwischen ihnen, eine unerklärliche Verbindung. Es war Tom, als würden die kleinen, schwarz schimmernden Augen direkt in sein Herz blicken und jeden seiner Gedanken kennen. Ihm wurde schwindlig, und er wandte den Blick ab. Sofort verschwand auch das seltsame Gefühl.
»Ich verstehe gar nichts mehr«, murmelte er leise und sah sich um. Der Himmel über ihnen war inzwischen von einem dunklen Blau, das zum Horizont hin in ein Farbenspiel aus Gelb und Orange überging. Die Sonne würde bald aufgehen und diesen fremden Ort bescheinen. Noch war es zwischen den Gräsern dunkel und schattig, aber die warme Nacht ließ Tom vermuten, dass der Tag hier ziemlich heiß sein würde.
»Bist du verletzt?«, erkundigte sich Matani besorgt. »Du musst dich doch an deinen Raben erinnern. Wir haben gemerkt, dass er zu dir gehört, und als er in das Lager zurückgeflogen ist, wusste ich, dass er dich führen würde.«
»Du meinst, der Rabe hat mir gesagt, dass ich abhauen sollte?« Tom sah wieder zu dem Tier hinüber.
Wieso eigentlich nicht?, fragte er sich müde. Immerhin hat auch in Berlin schon ein Rabe mit mir gesprochen.
Weit in der Ferne ertönte ein hohes Heulen, das ihre Köpfe herumfahren ließ. Tom konnte nichts erkennen, aber Matani sah plötzlich gehetzt aus.
»Wir müssen weiter. Wir dürfen nicht hierbleiben.«
»Wer jagt uns?«, fragte Tom matt, während sie sich suchend umblickte.
»Die Herren der Schwarzen Städte. Wen sie mitnehmen, den sieht man niemals wieder. Großvater hat gesagt, dass sie einen über das Meer bringen, in ihre Heimat.«
Ein flinker Schatten huschte durch das Gras, dann sprang ein pelziges Wesen an Matani hoch. Tom brauchte einen Moment, um zu erkennen, dass es sich nicht um einen kleinen Hund, sondern um einen sandfarbenen Fuchs mit einem buschigen Schwanz und großen, hellen Ohren handelte.
»Da bist du ja«, sagte Matani erleichtert, während ihr das Tier die Hände ableckte. »Sie gehört zu mir«, erklärte sie über die Schulter hinweg, ehe sie sich in Bewegung setzte. Der Fuchs ließ von dem Mädchen ab und trottete neben ihr her. Nur Tom zögerte noch.
»Komm«, sagte Matani eindringlich. »Dein Rabe findet den Weg schon. Immerhin kann er ja fliegen.«
Offensichtlich bereitete es ihr weitaus weniger Schwierigkeiten, während des Laufens zu sprechen. Tom biss die Zähne zusammen, schwor sich, dass er so lange und so weit laufen würde wie sie, und folgte ihr.
Noch während er überlegte, wer wohl die Herren der Schwarzen Städte sein mochten, berührten die ersten Strahlen der Sonne den Boden und tauchten die Steppe in ihr Licht. Das Gras war von einer satten, fast goldenen Farbe, die im Sonnenaufgang leuchtete. Ein sanfter Wind wehte, und das Gras neigte sich in Wellen, als wäre es ein großer See oder ein Meer, aber natürlich hielt Matani nicht an, um die Schönheit des Augenblicks zu genießen, sondern sie schien im Gegenteil nur noch schneller zu laufen. Tom musste sich anstrengen, um es ihr
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