SMS für dich
seinem Job widmen. Er greift nach seinem i-Phone und tippt:
Liebe Lilime, ich bin der Empfänger all Ihrer berührenden Worte. Wenn ich Ihnen in Ihrer Trauer irgendwie beistehen kann,
lassen Sie es mich wissen. Ihr unbekannter Vertrauter
Auch wenn Sven diese Nachricht erst mal bloß speichert, statt sie sofort loszuschicken, fühlt er sich endlich entspannter.
Wenn er das nächste Mal in eine Situation gerät, die ihn zum Handeln zwingt, wird er die SMS einfach versenden und sich sofort
besser fühlen. Vielleicht sollte er aber auf ein Zeichen warten.
Er schüttelt seinen Kopf über dieses alberne Gedankenspiel. Aber immerhin kann er nun wieder loslegen. Er atmet tief durch
und versucht, endlich den Artikel zu Ende zu bringen. Schließlich will er bald ins Wochenende und noch pünktlich zum Tai-Chi
kommen.
***
Bereits zum dritten Mal setzt Sven in dieser Nacht an, die neueste SMS von Lilime zu lesen. Es ist schon beinahe 2 Uhr morgens, und das Piepen seines Telefons muss ihn aus dem Schlaf geholt haben. Er kann das Display kaum erkennen, was sicher
auch an dem guten Rotwein liegen dürfte, den er nach dem Sport noch auf seiner Terrasse |117| genossen hat. Er will jedoch unbedingt weitere Informationen aus Lilimes Welt erfahren und diese am besten auch sofort einordnen
und verstehen können.
Danke für das Zeichen mit Beppos Streichhölzern! Werde ihn fragen, ob ich bei ihm ausstellen darf & deine Lieblings-Diavola
bestellen. Versprochen! Küsschen, L.
Sven setzt sich auf und knipst das Licht an. Erneut liest er den Text und fragt sich, ob Diavola eine Pizza ist. Und wenn
ja, wie viele Restaurants es wohl in Deutschland gibt, die von einem Beppo geführt werden und dazu noch eine solche Pizza
auf der Speisekarte haben?
Eins, zehn oder hunderte?
Schwer zu sagen. Und was hat es mit den Streichhölzern auf sich? Von welchem Zeichen spricht Lilime um Gottes willen? Glaubt
sie wirklich an so esoterischen Quatsch?
Und was will sie denn überhaupt ausstellen? Ihre Bilder?
Ich will ihre Bilder sehen, denkt Sven und steht auf, um ein wenig frische Luft zu schnappen.
Auf der Dachterrasse ist es recht frisch. Von dort hat er einen guten Blick in die wenigen erleuchteten Räume in den Gebäuden
ringsum. Gegenüber kann er eine junge Frau beobachten, die in ein Handtuch gehüllt vor dem Fernseher sitzt und sich die Fußnägel
lackiert. Sven ist versucht, sein Fernglas zu holen, das er sich anlässlich der letzten partiellen Mondfinsternis gekauft
hat. Ob es sich lohnt, die Dame noch etwas genauer unter die Lupe zu nehmen?
Doch er lässt von diesem verlockenden Gedanken ab. Er würde sich schmierig vorkommen, in die Privatsphäre |118| seiner Nachbarin einzudringen, wenn diese sich offensichtlich sicher und geschützt fühlt.
Ob Lilime sich auch um 2 Uhr nachts die Nägel lackiert? Ob sie sich überhaupt etwas aus Schönheit macht? Legen Menschen, die einen Sinn für Malerei
haben, nicht obligatorisch Wert auf Ästhetik?
Was sie wohl für Bilder malt? Und fühlt Lilime sich sicher und geschützt, wenn sie malt? Soll er sie womöglich besser in Frieden
lassen, sich aus ihrem Leben heraushalten, ihr den nötigen Freiraum zur Bewältigung ihrer Trauer gewähren und besser alle
Nachrichten, die noch kommen mögen, ungelesen löschen?
Sven mag diesen Gedanken nicht. Zwar behagt es ihm nicht, sich wie ein schmieriger Schnüffler zu fühlen. Aber noch viel weniger
behagt ihm, Lilimes Welt einfach fernzubleiben.
Er holt sich eine Flasche Wasser gegen den Nachdurst aus der Küche und geht zurück auf die Terrasse. Doch dieses Mal setzt
er sich in seinen Strandkorb, um nicht länger ungewollt mit seinen Blicken in die Welt dieser jungen Nachbarin einzudringen.
Mit Lilime war es aber im Grunde umgekehrt, denkt er plötzlich und richtet sich auf. Sie ist schließlich in meine Welt eingedrungen!
Nun blickt er in den Sternenhimmel. Das Sommerdreieck ist gut zu erkennen, obwohl die Stadt noch voller Lichter ist und so
unzählige Sterne im Verborgenen hält.
Das ist eine gute Nacht, um mehr Klarheit zu bekommen, das spürt Sven und geht erneut in die Wohnung, wo sein MacBook in einer
Tasche im Flur darauf lauert, hinter all die Geheimnisse zu kommen, die in einer so |119| besonderen Sommernacht in der Luft schweben. Er nimmt seinen Laptop und den Kapuzenpulli und geht zurück zum Strandkorb. Dort
schaltet er das Gerät ein, starrt, während es hochfährt,
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