SMS für dich
ungewöhnlich warm an diesem Abend, und Sven hofft, dass er für David und sich noch einen Tisch im Freien ergattern
kann. Sonst wird er vorschlagen, von der Sushi-Bar in einen Biergarten auszuweichen. Hauptsache, sie bleiben an der frischen
Luft und verschwenden diese laue Nacht nicht irgendwo, wo es stickig ist.
Als Sven darüber nachdenkt, was er heute Abend am besten anziehen soll, bemerkt er, dass er plötzlich schwerer atmet und kaum
noch Luft bekommt. Diese Kurzatmigkeit beobachtet er schon seit einiger Zeit an sich. Zunächst dachte er, sie wäre heute allein
deswegen aufgetaucht, weil er die Treppen bis nach oben schneller erklommen hat als sonst. Er hatte es eben eilig, an die
Liste mit den Nachrichten zu kommen. Doch nun hätte sich sein Atem schon längst wieder beruhigen müssen. Er fühlt sich jedoch
innerlich aufgebracht, fast nervös.
|107| Es hilft nichts. Auch wenn er sich lächerlich macht, denkt Sven, muss er mit David über diese ganze Sache sprechen. Durch
das viele Hin- und Hergrübeln weiß er einfach nicht mehr, was richtig ist. Er hasst es einfach, Situationen nicht unter Kontrolle
zu haben. Und diese Situation überfordert ihn.
Was soll er tun? Soll er versuchen, Lilime zu ignorieren? Soll er sie freundlich, aber bestimmt darum bitten, den Kontakt
abzubrechen? Soll er sich eine neue Nummer zulegen, um sie unbedarft kontaktieren zu können? Aber was dann? Soll er sie dann
einfach anrufen und sie zu einem Kaffee einladen, um in vollkommen absurder und überflüssiger Weise einen Plausch über den
Verlust eines geliebten Menschen zu führen? Soll er sie heimlich ausfindig und sich dabei zum Narren machen?
Für einen kurzen Moment zögert Sven. Vielleicht sollte er David für heute besser absagen? Doch wenn er jetzt nicht noch einmal
losgeht, würde er nur in zermürbenden Gedanken versinken ohne irgendein Ergebnis.
Entschlossen marschiert Sven ins Schlafzimmer. Er zieht sich aus, steigt schnell unter die Dusche und überlegt sich ein paar
einleitende Worte für seinen Kumpel, in der Hoffnung, sie mögen ihn nicht allzu sehr wie einen Depp dastehen lassen.
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Clara
Lüneburg ist eigentlich wundervoll, denkt Clara, als sie am Freitagabend mit dem Fahrrad durch den Kurpark fährt. Das ist
zwar ein großer Umweg von der |108| Agentur zu ihrer Wohnung, aber einer, der sich wirklich lohnt an einem solch schönen Frühlingsabend.
Noch vor kurzem tat sie sich sehr schwer, abends von der Arbeit nach Hause zu fahren, wo niemand mehr wartet. Doch mittlerweile
ist die Stimmung unter den Kollegen so angespannt und feindlich, dass sie gar nicht mehr gern dort ist. In letzter Zeit sind
einige wichtige Aufträge weggebrochen, und viele machen sich bereits jetzt ernsthaft Sorgen. Vielleicht sollte sie schon mal
ein paar Bewerbungen abschicken? Schließlich gibt es doch manchmal Stellenausschreibungen im Internet und in der Zeitung,
die suggerieren, der Markt für Graphiker sei gar nicht so überlaufen. Wer weiß, was sich so bietet? Andererseits hat Clara
wenig Erfahrung außerhalb der Agentur gewonnen, sodass sie nicht mit großen Kampagnen prominenter Kunden ins Rennen gehen
kann.
Ohnehin würde sie ihr Geld viel lieber mit der Malerei verdienen. Doch das ist sicher nicht besonders realistisch. Aber sie
könnte versuchen, nebenher ein bisschen Geld damit zu machen. Sie könnte interessierten Laien in Kursen die Malerei näherbringen.
Durch die Verwendung einer speziellen Metallfolie und anderer Handwerkerutensilien aus dem Baumarkt hat Clara mittlerweile
eine spezielle Technik entwickelt. Die Verbindung von Öl und Metallelementen verleiht ihren Bildern etwas ganz Besonderes.
Das haben auch Katja und ihre Mutter bestätigt. Doch deren Urteil dürfte nicht gerade objektiv ausfallen.
Aber nun ist erst mal Wochenende! Und Clara freut sich auf zwei freie Tage. Es wird die richtige Mischung aus Anregung und
Entspannen. Denn neben einem Besuch bei ihren Großeltern hat sie nichts vor außer in aller Ruhe zu |109| malen, um das Grübeln hoffentlich zumindest eine Zeit lang unterbrechen zu können.
Abzuschalten fällt ihr immer noch sehr schwer. Normalerweise zuckt sie pro Stunde etwa zehnmal innerlich zusammen. Dann zeigt
ihr Gehirn urplötzlich in großen Buchstaben vor ihrem inneren Auge an: «Ben ist tot!» – so als wäre die regelmäßige Erinnerung
tatsächlich nötig.
Aber selbst wenn sie es wirklich wollte, wäre es Clara
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