SMS für dich
blickt Clara dem weißen Punkt nach. Als das Schiffchen am Ende einer Kurve aus ihrem Blickwinkel verschwindet,
öffnet sich plötzlich eine kleine Lücke zwischen den Wolken, und Sonnenlicht bricht sich Bahn.
An diesem späten Nachmittag, von dem Clara dachte, er würde düster und trübe bleiben, kommen endlich ein paar Sonnenstrahlen
durch die graue Wolkendecke. Mit einem zaghaften Lächeln und weichen Knien macht sich Clara auf den Heimweg.
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Sven
Als Sven mit dem Auto die Elbbrücken in Richtung Süden überquert, lacht er zu seiner eigenen Überraschung kurz laut auf. Er
kann noch immer nicht glauben, dass er tatsächlich früher Feierabend gemacht und Hilke gebeten hat, ihm ihren Wagen auszuleihen.
«Lüneburg! Es ist sehr wahrscheinlich Lüneburg!» Mit diesen Worten hatte er seine Kollegin heute Morgen im Büro begrüßt. Aufgeregt
wie ein kleiner Junge berichtete er von der letzten SMS von Lilime.
«Sie heißt eigentlich Clara. Clara mit C. Also wohl dieselbe Clara, die sich um diesen Theo kümmern wollte.»
Dass Hilke ihn wiederum frech angrinste und ihm sofort unterstellte, sich in eine Unbekannte verknallt zu haben und nun eifersüchtig
zu sein, überging er souverän. Es war |149| ihm egal, dass sie sich über ihn lustig machte. Das Einzige, was ihn interessierte, war die Frage, ob Hilke bereit war, einen
Abend auf ihren Wagen zu verzichten.
Am liebsten wäre sie natürlich mitgekommen. Doch Sven ist froh, dass sie zusammen mit ihrem Mann bei der Schwiegermutter eingeladen
ist, sodass er sich jetzt ganz in Ruhe auf die Suche machen kann, ohne dass sie mit ihrer nervigen Art alles zerredet.
Und nun ist er also unterwegs nach Lüneburg, um dort nach Lilime zu forschen. Die Tatsache, dass es ausgerechnet ein alter,
peinlicher Opel ist, der ihn zu der Unbekannten führen soll, dämpft seine teenagerhafte Euphorie leicht. Aber seit die SMS
gestern ankam, ist er geradezu besessen davon, seinem Gefühl nachzugeben und einfach mal etwas vollkommen Verrücktes zu tun.
Etwas, das sich nach Leben anfühlt und von dem er früher nie gedacht hätte, dass er dazu überhaupt fähig ist.
Für einen kurzen Moment blickt er auf das glitzernde Wasser und muss sofort an Claras geschriebene Worte denken. Obwohl ihn
die Nachricht genauso berührt hat wie die meisten anderen zuvor, war diese letzte anders gewesen. Sie klang nach einer Lilime,
die voll naiver Sehnsucht und kitschiger Worte steckt. Gleichzeitig sprach daraus eine Clara, die genau die erwachsene und
erfahrene Persönlichkeit zu sein scheint, die Sven immer hinter Lilime vermutet hat.
Auch die Uhrzeit, zu der die SMS einging, war neu. Während Sven in Gedanken gerade an den richtigen Worten für seinen möglichen
Anruf feilte, piepte sein Telefon, das er seit Tagen kaum aus den Augen gelassen hat.
Obwohl Sven eigentlich noch immer keinen Plan hat, |150| wie er weiter vorgehen soll, ist er optimistisch, Claras Welt zumindest ein wenig näherzukommen.
Dabei war er ihr die ganze Zeit schon viel näher, als er zu hoffen gewagt hätte!
Keine 50 Kilometer ist Lüneburg von Hamburg entfernt, und Sven fragt sich, warum er seit einem Schulausflug vor vielen Jahren dieser
kleinen Hansestadt keinen Besuch mehr abgestattet hat. Immerhin weist ausgerechnet Lüneburg angeblich die größte Kneipendichte
Europas auf. Das jedenfalls hat Sven während seiner Recherchen heute erfahren. Im Internet hat er versucht, dort alle italienischen
Lokale ausfindig zu machen, die Bilder ausstellen.
Während er nun die Autobahn 250 entlangfährt, stellt er sich vor, wie er eine junge Frau auf der Straße anspricht und sie
nach einem guten italienischen Restaurant fragt. In seiner Phantasie würde sie ihn dann spontan dorthin begleiten und sich
schließlich als Clara entpuppen.
Sven muss grinsen über diese albernen Gedanken. Er dreht das Radio auf, so laut es geht, obwohl er den Song, der gerade gespielt
wird, nicht einmal mag. Aber genauso langweilig findet er Hilkes kümmerliche C D-Sammlung , die nicht viel mehr hergibt als Musical-Songs und seichten Kuschelrock. Aber es stört ihn heute Abend nicht. Heute ist alles
anders. Er könnte spontan einen Marathon unter drei Stunden laufen, so energiegeladen fühlt er sich.
Erst als Sven an Winsen vorbeifährt, beschleichen ihn kurz Zweifel, ob es nicht klüger wäre, unverrichteter Dinge wieder nach
Hause zu fahren. Was wird passieren, wenn seine Suche heute
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