SMS für dich
Geschichte verschrecken.
Denn bei Sven Lehmann am Freitagabend am Bahnhof im Atelier und auch später im «Cheers» – überall war Ben |201| präsent. Vor allem als der Journalist sich in ihren Räumlichkeiten umgeschaut und sie fotografiert hat, war ihr Ben auf seltsame
Weise sehr nahe gewesen, fast so, als würde er ihr signalisieren, dass sie gut aufgehoben sei.
Aber auch Sven Lehmann hat ihr auf seine Weise ein Gefühl von Vertrautheit und Vertrauen gegeben. Und das, obwohl er sie so
nervös gemacht hat!
Vielleicht erinnert er mich auch an irgendjemanden, grübelt Clara ohne einen echten Anhaltspunkt. Ben ist dieser Jemand in
keinem Fall, denkt sie und kuschelt sich tiefer in ihre Decke. Überhaupt scheint dieser Sven in vielem das genaue Gegenteil
von Ben zu sein. Clara fragt sich, ob das nun ein gutes oder ein schlechtes Zeichen ist. Doch dann ermahnt sie sich, bloß
keinen weiteren Gedanken darauf zu verschwenden. Die Tatsache, dass er auf ihre SMS noch nicht einmal reagiert hat, zeigt,
wie oberflächlich er ist. Sicher ermuntert er reihenweise Frauen zu «Wiederholungen», ohne dass er sich wirklich an die erste
Begegnung erinnern würde.
***
Am nächsten Tag sieht Clara ihre Meinung von Sven Lehmann bestätigt. Sie sitzt an ihrem Computer und leitet die Mail, die
soeben gekommen ist, unkommentiert an Katja weiter. Schließlich bedarf so viel Kälte und Arroganz keiner weiteren Worte.
Liebe Frau Sommerfeld,
anbei sende ich Ihnen den fertigen Artikel mit der Bitte um zeitnahe Freigabe.
|202| Vielen Dank für die angenehme Zusammenarbeit und alles Gute für Ihre Selbständigkeit!
Beste Grüße
Sven Lehmann
Clara weiß gar nicht, ob sie sich mehr über diesen feinen Pinkel oder über sich selbst ärgern soll. Immerhin hatte sie sich
eingebildet, dass an ihrem gemeinsamen Abend etwas Besonderes mitschwang. Aber wahrscheinlich wäre eine Wiederholung tatsächlich
bloß unbeholfen und belanglos verlaufen. Doch auf eine SMS schlicht nicht zu reagieren und eine Mail so unpersönlich wie es
nur geht zu halten, empfindet sie einfach als Affront. Das kann sie eigentlich nicht auf sich sitzen lassen!
Den Artikel jedenfalls wird sie überkritisch lesen und Herrn Lehmann jedes Wort um die Ohren hauen, das ihr nicht gefällt.
Erst jetzt sieht Clara, dass die Mail auch noch einen Anhang mit Fotos enthält. Die hatte sie beinahe vergessen. Es sind auch
noch Bilder von anderen Freiberuflern in dem Artikel untergebracht, eine Frau und zwei Männer, die ebenfalls in diesem Jahr
den Schritt in die Selbständigkeit gewagt haben. Clara ist überrascht, dass sie als Einzige zweimal abgebildet ist. Und sie
ist erstaunt darüber, wie gut einige ihrer Gemälde und das Ladenschild zur Geltung kommen, obwohl alles nur provisorisch auf
dem Boden im Atelier steht. Sven Lehmann hatte recht damit, dass er genau solche Bilder braucht. Aufnahmen, die die Porträtierten
quasi in den Startlöchern zeigen.
Unfreiwillig muss Clara schmunzeln, als sie die Bildunterschrift zu den Fotos liest:
|203|
Clara S. in ihrem frisch angemieteten Atelier und Ladengeschäft Kunst & Werk: «Eine Portion Naivität und Risikofreude
gehört dazu.»
Habe ich das wirklich gesagt?, fragt Clara sich und ruft sich unweigerlich den anregenden Schlagabtausch in Erinnerung, den
sie sich mit dem wortgewandten Schreiberling an dem Abend im «Cheers» geliefert hat.
Er hatte sie eine «erfrischend naive, aber gewitzte und interessante Künstlerin» genannt.
Nach kurzen Protesten hatte Clara ehrlicherweise ergänzt: «… eine Künstlerin, die offenbar nicht viel von Geschäften versteht.»
Er hatte daraufhin herzhaft lachen müssen. Überhaupt haben sie beide zu späterer Stunde erstaunlich viel gelacht. Egal, ob
es nun um den Job oder die wenigen Abgleitungen ins Private ging.
Seltsam wurde es allerdings, als Clara über ihre Bilder sprach. Sie hatte das Gefühl, dass Sven Lehmann zwar anerkennend an
ihren Lippen hing, aber eben doch sehr verhalten reagierte, als sie zugab, die Mondserie habe einen sehr persönlichen Bezug,
über den sie nicht sprechen wolle.
Er hatte sie daraufhin so merkwürdig angesehen, als würde er ihr gleich etwas sehr Intimes beichten wollen. Doch letztlich
gestand er nur, so gut wie nichts von Kunst zu verstehen und trotzdem – oder daher vielleicht umso mehr – beeindruckt zu sein
von der Kraft ihrer Bilder.
Deshalb ist Clara nun auch überaus gespannt, wie ihre
Weitere Kostenlose Bücher