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Snack Daddys Abenteuerliche Reise

Snack Daddys Abenteuerliche Reise

Titel: Snack Daddys Abenteuerliche Reise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Shteyngart
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Ziegenbart. Und wenn ich mein Erinnerungsvermögen strapaziere, kann ich der Szene eine Art Heldentum des Alltags abgewinnen oder sie sogarzu einem Bild der Sohnesliebe stilisieren – wie Vater und Sohn ihre Gummisohlenregatta flussabwärts bis in eine alte Siedlung verfolgten, die nun ein Abstellplatz für verrostende Benzoltransporter war, auf deren Tanks man den gut gemeinten Warnhinweis gepinselt hatte: ABSTAND HALTEN – EXPLOSIONSGEFAHR .
    Und nun sagen Sie mir, worum es hier geht. Was wollte ich eigentlich sagen?
Warum ist es so schwer, anständig um einen dahingegangenen Elternteil zu trauern?
Warum kann ich meinen Vater nicht rehabilitieren wie Gorbatschow die Opfer Stalins? Am liebsten würde ich eine Geschichte aus dem Totalitarismus erzählen, von einem Mann, der sich gegen alle Widerstände durchsetzt, mit dem Geliebten Herrn Papa in der Rolle des klugen, lebenslustigen Mittelschichtvaters. Aber immer kommt die Wahrheit meinen guten Absichten in die Quere.
    Die Wahrheit ist: Die blöden Schuhboote sind auf dem Bächlein nie weit gekommen, nach zehn Sekunden sind sie voll Wasser gelaufen und gesunken oder wurden von einem hungrigen sowjetischen Biber aufgefressen. Die Wahrheit ist: Nach einer Weile gingen uns die Schuhe aus, und der Geliebte Herr Papa ging zu Booten aus Walnussschalen über (dasselbe Konzept, aber viel kleinere Boote), die er in unserer alten, ausgesonderten Badewanne schwimmen ließ, wo sie genauso schnell vollliefen und sanken. Die Wahrheit ist: Papa hatte nur ein sehr lückenhaftes Wissen von Auftriebskräften, eine sehr mangelhafte Vorstellung davon, wie sich feste Gegenstände über Wasser hielten, und das, obwohl er wie alle sowjetischen Juden zum Maschinenbauingenieur ausgebildet worden war.
    Die Wahrheit ist: Eigentlich konnte Papa nicht glauben, dass er tatsächlich eine Rolle dabei gespielt hatte, ein herumtollendes, furzendes Lebewesen mit eigenen Gefühlen wie mich in die Welt zu setzen, und er packte mich so fest, dass ich blaue Flecke an den Armen bekam, und starrte mir mit einer Art hilflosem Zorn in die Augen, seine knospende Liebe für mich von Ängsten umzingelt. Und von Selbsterkenntnis.
    Er wollte mich nicht schlagen. Er wollte nicht auf meinen
chuj
eindreschen. Da noch nicht. Aber kleine Jungen prügelte man eben (»Liebe reimt sich auf Hiebe«, pflegten seine bekloppten Verwandten zu sagen), damit keine Schwächlinge aus ihnen wurden, die sich in derGrundschule nicht behaupten konnten. Als er sieben war, hatte Papas Stiefvater ihn mit einem Schürhaken verhauen, und als er 13 wurde, feierte er seine Mannwerdung, indem er seinen Stiefvater mit demselben Schürhaken halb totschlug. Dann briet er auch ein paar Verwandten noch ordentlich eins über und verunstaltete einen Säufer auf der Straße, den man für einen Kinderschänder hielt. Er ist richtig mit dem Schürhaken Amok gelaufen. Das war ein schönes Finale, auch wenn der Geliebte Herr Papa ein paar Jahre später für eine Weile in die Anstalt musste.
    Die Wahrheit ist: Der Geliebte Herr Papa hatte keinen blassen Schimmer, was er mit mir anfangen sollte. Er lebte in einer abstrakten Welt, wo nicht Kindererziehung die höchste Form des Guten darstellte, sondern der Staat Israel. Dorthin zu ziehen, Orangen zu züchten, Badehäuser für die rituellen Waschungen menstruierender Frauen zu entwerfen und auf Araber zu schießen – das war sein großer Traum. Als es dann mit dem Sozialismus vorbei war und er endlich betrunken am Strand von Tel Aviv die Fäuste schwingen durfte, merkte er natürlich, wie dämlich und unsentimental das kleine Land war, seine sinnstiftende Mission fast so banal und ausgeleiert wie früher die unsere – Träumen, die man in Gefangenschaft hegt, tut die Freiheit selten gut.
     
     
    Im Park Hyatt Svanï City war ich indessen frei wie nie zuvor. Morgens, mittags und abends nahm ich meine ganz eigenen rituellen Waschungen vor und befreite meinen Körper von den demütigenden Gerüchen der Fettleibigkeit. Ich konnte mich nicht erinnern, wann ich das letzte Mal so sauber gewesen war. Die Größe der Badewanne des Hyatt (ein Artefakt von altrömischen Ausmaßen) ermutigte mich, Zuflucht im Wasser zu suchen.
»Splish splash«
, heißt es in der amerikanischen Weise. Ich weiß nicht mehr, wie sie weitergeht.
    Ich war ein neuer Mensch. Kein Snob mehr und kein Melancholiker, was immer Falisch auch sagen mochte. Ich genoss meine Körperlichkeit und wollte sie mit der ganzen Welt teilen oder

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