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Snack Daddys Abenteuerliche Reise

Snack Daddys Abenteuerliche Reise

Titel: Snack Daddys Abenteuerliche Reise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Shteyngart
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Erwachsenenleben, das Fantastische und das Persönliche verschmolzen miteinander, reife Sorgen regredierten in einen rosa Kinderdunst. In Brooklyn hatte ich Partys besucht, auf denen Mittdreißiger beiderlei Geschlechts leidenschaftlich die Feinheiten von Disneys
Kleiner Meerjungfrau
oder die Abenteuer ihrer liebsten Superhelden diskutierten. Tief in unserem Innersten sehnten wir uns alle nach einer Vereinigung mit dieser kleinen rothaarigen Unterwasserschlampe. Wir wollten hoch über die Stadt hinwegfliegen, es mit den irdischen Mächten unter uns aufnehmen und für irgendjemandes Rechte kämpfen,
egal wessen
. Danke, das Volk der Sevo tut es auch. Es zeigte sich, dass Demokratie den Stoff zum allerliebsten Zeichentrickfilm aller Zeiten abgab.
    »Möchten Sie etwa lieber von Georgi Kanuk regiert werden?«, schrie ich Falisch an. »Der die Erträge aus dem Ölreichtum des Landes in Monte Carlo verprasst? Und die Meinungsfreiheit unterdrückt?«
    »Was für eine Freiheit?«, sagte der muslimische Diener. Er hüllte den Hammelkopf, den Mittelpunkt der Tischdekoration, der schon von einer Heerschar von Fliegen zerlegt wurde, in eine Wolke von Tabakrauch. »Für den letzten Krieg haben sie die halbe männliche Bevölkerung von Gorbigrad rekrutiert. Meinen Sohn haben sie in einen gepanzerten Truppentransporter gesteckt, der auf unerklärliche Weise explodiert ist und ihn von der Hüfte abwärts verbrannt hat. Heute ist er 23, so alt wie Bubi. Wie kriege ich den Krüppel verheiratet? Wissen Sie, was es mich kostet, ihm eine halbwegs anständige Frau zu besorgen? Wer zahlt mir denn die ganzen deutschen Salben, die ich ihm auf den Körper schmiere? Mein einziger Sohn sieht aus wie ein Majonäsebrot. Aber wen kümmert es schon, wenn noch ein Mohammedanerjunge durch die Mangel gedreht wird? Wir sind alle bloß Kanonenfutter für die Familie Kanuk oder die sevische Kaufmannschaft. Vielleicht sollte ich versuchen, nach Oslo zu gehen wie mein Vetter Adem. Aber wozu? Die Europäer scheißen auf ihn. Oder vielleicht kann ich Taxifahrer in den Golfstaaten werden wie mein Bruder Rafik. Aber diese Wüstenaraber behandeln uns da unten auch wie die letztenNeger. Und man bekommt nicht mal was Anständiges zu trinken, wegen dieser durchgeknallten wahabitischen Mullahs. Wohin Muslime auch immer gehen, dieselbe Scheiße. Wozu leben?«
    »Du solltest deiner Herrschaft danken, dass sie versucht, dir die Demokratie zu erkämpfen«, sagte ich. »Die Freiheit wird deinem Sohn ein neues Leben schenken. Und wenn nicht ihm, dann seinen Kindern. Und wenn nicht ihnen, dann
ihren
Kindern. Übrigens habe ich in Petersburg eine Wohltätigkeitsorganisation namens ›Mischas Kinder‹ –«
    Falisch winkte ab. »Bitte«, sagte er. »Die ganze Welt weiß, dass Sie ein Snob sind und ein Melancholiker und mit Ihrer Stiefmutter geschlafen haben. Was soll man da noch über Sie sagen?«
    Auch wieder wahr.

30
    Snobismus und Melancholie ade
     
    Ich will Ihnen noch etwas erzählen. Als ich vier oder fünf Jahre alt war, haben meine Eltern für den Sommer immer eine Hütte gemietet, ungefähr 100 Kilometer nördlich von Leningrad in der Nähe der finnischen Grenze. Sie stand hoch auf einem gelblichen, von allerlei Unkraut überwucherten Hügel, mit einer verrotteten Hainbuche darauf, die in meinen Träumen immer menschliche Gestalt annahm und mich verfolgte. Am Fuße des Hügels floss ein Bächlein, das dieselben Zischlaute von sich gab wie alle Bächlein (denn plätschern tun sie ja an sich nicht), und wenn man dem verschlungenen Bächlein folgte, vorbei an seinen vielen Wasserfällen, gelangte man in eine graue sozialistische Siedlung – die nicht mehr wirklich eine Siedlung war, sondern eine Art Depot für Benzol- oder Kerosintransporter, Laster für alle möglichen leicht entzündlichen Gase.
    Oh Mann. Was will ich damit sagen? Der Geliebte Herr Papa und ich hatten da so ein Seemannsding laufen. Er besorgte alte ausgelatschte Schuhe und riss das Leder ab, so dass nur noch die Gummisohlen übrig blieben, mit denen er noch alles Mögliche anstellte – zum Beispiel baute er aus Papier und Zweigen ein improvisiertes Segel –, und dann ließen wir diese Schuhboote das Bächlein hinunterschippern. Ich glaube, wir sind immer nebenher gelaufen und haben sie angefeuert und Lieder über Ameisen und Raupen gesungen und über Mami, die in ihrer Schürze Mohnkuchen buk, und keck glänzten in Papas Gesicht die schwarzen Augen über dem buschigen, windgepeitschten

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