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Snack Daddys Abenteuerliche Reise

Snack Daddys Abenteuerliche Reise

Titel: Snack Daddys Abenteuerliche Reise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Shteyngart
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getragen hatte, war eines ganz sicher: Ich fürchtete das Beil nicht mehr.
    »Scheiß auf deine Mutter!«, sagte ich. »Soll sie doch verrecken.«
    Und dann lief ich.
    Ich lief so schnell, dass die Menschen, oder was von ihnen noch übrig war, mir schweigend Platz machten, als hätte man mich schon lange erwartet, so wie die Mörsergranaten und die Armut. Ich prallte gegen brennende Autos und brennende Maultiere und merkte, wie sich der Rauch um mich lichtete und meine Erlösung näher rückte. Denn vor allem wollte ich erlöst werden. Leben und auch Rache nehmen für mein Leben. Mein Gewicht abwerfen und neu geboren werden.
    Ich lief und lief, mein Herz und meine Lungen kamen mit der lächerlichen Zumutung einer solchen Anstrengung kaum mit. Ich lief vorbei an einem umgedrehten T-72-Panzer, der nun auf seinem eigenen Kanonenrohr ruhte, und an einer ausgebrannten Schachschule mit einem Mosaik, das Kinder mit Sommersprossen auf den rosigen Wangen zeigte, die um einen älteren Meister herumtollten. Als ich mich umdrehte, um zu sehen, ob der Mann mit dem Dolch mir noch immer auf den Fersen war (war er nicht), stolperte ich über etwas, eine verdrehte Gestalt mit etwas, das aussah wie eine verkohlte Pfote, die sich aus dem Leib emporreckte; wie ein schlecht gezeichneter Pfeil erstreckte sich nach einer Seite eine Blutlache. »Armes Hundchen«, flüsterte ich und wagte einen näheren Blick auf das tote Tier.
    Sofort erbrach ich mich auf den rot getränkten Boden und die Trümmer aus Beton.
    Das war überhaupt kein Hundchen.
    Ich riss mich von der kleinen Leiche los. Und da bemerkte ich den vertrauten sozialistischen Bau, in dessen Schatten ich zu stolpern beschlossen hatte.
    Ich betrat den modrigen Tempel des örtlichen Intourist Hotels, einer jener Betonmonstrositäten, in denen man zu Sowjetzeiten die Ausländer um ihre harte Währung erleichtert hatte. Ein verstaubtes Gemälde zeigte Lenin, wie er gut gelaunt am Finnischen Bahnhof ausstieg; darunter warnte ein Schriftzug auf Englisch: KEINE KREDITKARTEN . KEINE PROSTITUIERTEN VON DRAUSSEN . NUR HOTELEIGENE PROSTITUIERTE . KEINE AUSNAHMEN .
    An der Rezeption weinte eine
babuschka
in ihr Kopftuch, es ging offenbar um ihren toten Grischa. »Ein Zimmer bitte«, sagte ich.
    Die Frau wischte sich die Augen aus. »200 Dollar für die De-luxe-Suite«, sagte sie. »Und eine Nutte wartet schon auf Sie.«
    »Ich will keine Nutte«, murmelte ich. »Ich möchte einfach allein sein.«
    »Das macht dann 300 Dollar.«
    »Ohne Nutte ist es
teurer

    »Na sicher«, sagte die alte Dame. »Jetzt muss ich ihr ja einen anderen Schlafplatz besorgen.«

39
    Wir sitzen in der Scheiße
     
    In den folgenden zwei Wochen brachte ich 42.500 Dollar im Intourist Hotel durch. Täglich stieg der Preis der meiner so genannten De-luxe-Suite um 50 Prozent (allein für meine letzte Nacht musste ich 14.000 Dollar hinlegen), obwohl sogar noch zwei zusätzliche Flüchtlinge in meine feuchte Zweizimmerbude gequetscht wurden. Was sollte man machen? Vor meinem Hotel wurde die Lage – wie man sie noch immer nannte – stündlich absurder; nachts reimten sich Schüsse und die Detonationen der Mörsergranaten auf mein Schnarchen, den Tag spalteten sie in Schusszeit und Auszeit, wobei die Letztere ungefähr auf Mittag- und Abendessen fiel. Das Intourist Hotel blieb nur deshalb unversehrt (und aberwitzig teuer), weil beinahe alle Schützen einen Verwandten hinter den dicken Betonmauern hocken hatten.
    Larry Zartarian und seine Mutter trafen als Erste ein. Die alte Dame, die auf unserem Stockwerk Flurwache hielt – schwarze Kniestrümpfe, aus denen ein Strauß Krampfadern wuchs –, wies Mutter und Kind einen Platz in meinem Wohnzimmer zu. Als der historische Feind der Zartarians eintraf, ein verirrter türkischer Ölmanager, wurden sie direkt unter meinem Bett untergebracht. Nachts hörte ich die Mutter ihre Nachkommenschaft in einer irgendwie schwierigen Sprache verwünschen, während Larry sich unter Tränen in den Schlaf wiegte und sein großer Kopf die Bettfedern zum Zittern brachte.
    Timofej belegte das zweite Bett im Zimmer, mit einem feuchten, vermoderten Kissen und einem Betttuch aus zerknickter Pappe, musste es aber bald mit Monsieur Lefèvre teilen, dem belgischen Diplomaten, der mir meinen europäischen Pass gewährt hatte, und mit Mischa, seinemLover aus dem McDonald’s. Die beiden versuchten, neben Timofej miteinander zu schlafen, aber mein Moralapostel von einem Diener haute ihnen beiden in die

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