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Snack Daddys Abenteuerliche Reise

Snack Daddys Abenteuerliche Reise

Titel: Snack Daddys Abenteuerliche Reise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Shteyngart
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mich auf das Idealbild des Hyatt zu. Auf die Erinnerung an eine Parfümerie 718. Auf einen Schatten des abgebrannten »Plateau International«. In Wahrheitentfernte ich mich vor allem von dem Mädchen, dessen Schreie nach Papa mich auf meinem von fremdem Blut getränkten Weg verfolgten.
    »Freund«, rief eine Stimme mir zu. »Freund, wohin des Weges?« Ein quirliger alter Mann, ein lieber Clown, lief neben mir her, seine Füße konnten mit meinem weit ausholenden, verzweifelten Gang kaum Schritt halten.
    »Zum Hyatt«, sagte ich.
    »Nicht mehr da«, sagte der alte Mann. »Von den Svanï ausgebombt. Sag mir, mein Freund, was bist du für ein Landsmann?«
    Ich sagte es ihm. Aus den Augenwinkeln konnte ich sehen, wie der Mann sich bekreuzigte. »Einige der größten Männer der Welt sind Juden«, verkündete er mir. »Meine Mutter wird deine Mutter sein, und du kannst dich immer an meinem Brunnen laben.«
    Ich starrte weiter geradeaus, ging forsch meines Weges und versuchte, meine Einsamkeit zurückzugewinnen. Hier redeten alle zu viel. Man wurde einfach nicht in Ruhe gelassen. Was, wenn ich die Mutter dieses Mannes gar nicht wollte? Was war dieser rituelle Muttertausch nur für eine dumme Zumutung?
    Schweigend marschierten wir eine Weile weiter. Und dann verlangsamte der Mann seine Schritte plötzlich so entschlossen, dass wir zum Stehen kamen. Ohne zu wissen, warum, als hätte er mich dazu gezwungen, hielt ich mit ihm inne. Ich sah ihm ins Gesicht. Er war gar nicht alt. Die dicken, reißverschlussartigen Knitterfalten, die sein Gesicht in Parallelogrammen überzogen, waren die Spuren eines großen, hemmungslos geführten Messers. Seine Nase hatte so viele Aufwärtshaken eingesteckt, dass sie aussah wie die Stupsnase einer amerikanischen Ostküsten-Debütantin. Und seine Augen – seine Augen waren verschwunden, ersetzt durch kleine schwarze Zylinder, die nur noch ein Ziel im Blick halten konnten, die Pupillen spiegelten einen einzigen, in einen einsamen Lichtkegel gefassten Schreckensgedanken wider. »Gib mir die Hand«, sagte der Mann, nahm meinen schlaffen Arm und drückte zu. »Nein, nicht so. So wie echte Brüder.«
    Ich tat mein Bestes, aber mir war die Luft ausgegangen. Seine Finger waren von tätowierten Zahlen übersät, die von einem Leben insowjetischen Gefängnissen zeugten. »Ja, ich habe gesessen«, sagte er, als er meinen Blick bemerkte, »aber nicht als Dieb oder Mörder. Ich bin ein ehrlicher Mann. Glaubst du mir nicht?«
    »Ich glaube Ihnen«, flüsterte ich.
    »All deine Feinde in Svanïstadt sind auch meine Feinde«, sagte der Mann. »Was hab ich dir gesagt wegen meiner Mutter?«
    »Dass sie auch meine Mutter ist«, stammelte ich. In meiner rechten Hand pochte ein fetter blutiger Schmerz, und wie zum Ausgleich kippte die Welt nach links. Wenn ich sterben musste, wollte ich, dass meine Rouenna bei mir war.
    »Meine Mutter …, nein,
unsere
Mutter liegt im Krankenhaus –«, begann der Mann.
    »Was wollen Sie?«, flüsterte ich.
    »Lass mich ausreden«, sagte der Mann. »Ich hätte dich reinlegen können. Ich hätte meine Freunde rufen können, die um die Ecke warten mit ihren Kinjals. So wie diesem hier.« Er drehte den Oberkörper und ließ den kurzen kaukasischen Dolch aufblitzen, der matt in seiner welken Lederscheide hing. »Habe ich aber nicht.«
    »Ich bin Minister für multikulturelle Angelegenheiten bei den Sevo«, schluchzte ich und fühlte, wie die Erniedrigung immer schwerer auf meinen Schultern lastete und mich ganz einhüllte wie nie zuvor. »Ich leite eine Wohltätigkeitsorganisation namens ›Mischas Kinder‹. Könnten Sie jetzt bitte meine Hand loslassen?«
    »Unsere Mutter liegt im Krankenhaus«, wiederholte der Mann und quetschte mir die große Patschhand noch fester, während sich ein neuer Purpurton vor meinen Augen breit machte. »Bist du so herzlos, dass du ihr nicht helfen willst? Muss ich wirklich erst meinen Kinjal nehmen und dir den Bauch aufschlitzen?«
    »Lieber Gott, nein!«, kreischte ich. »Hier! Hier! Nehmen Sie mein Geld! Nehmen Sie sich, was Sie brauchen.«
    Als er aber jetzt meine Hand losließ, damit ich nach meiner ausgebeulten Brieftasche suchen konnte, fielen Angst und Erniedrigung blitzartig von mir ab. Es ging nicht ums Geld. Nein, es ging ganz und gar nicht ums Geld. Aber nachdem ich 30 Jahre lang mit dem Kopf auf dem Schafott gelegen hatte, nachdem ich 30 Jahre lang den Henkerangefeuert hatte, nachdem ich 30 Jahre lang diese stickige schwarze Kapuze

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