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Snack Daddys Abenteuerliche Reise

Snack Daddys Abenteuerliche Reise

Titel: Snack Daddys Abenteuerliche Reise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Shteyngart
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Es wäre mir eine Freude, Sie auf morgen zu Tee und
zakuski
einzuladen. Lassen Sie mich bitte wissen, ob Sie Zeit haben, damit ich mein Hausmädchen in der Frühe zum Fleischer schicken kann. Wenn Sie nicht wollen, werde ich Ihnen keine Vorwürfe machen. Aber vielleicht erbarmen Sie sich einer verlorenen Seele.
    Hochachtungsvoll,
    Ljuba
    Und so kam das mit uns zustande. Wir fühlten uns beide einsam und verlassen.

11
    Ljuba Vainberg bittet mich zum Tee
     
    Ljuba wohnte am Englischen Ufer, mitten in einem Potpourri prächtiger pastellfarbener Villen, die an der gelben Krümmung des alten Senatsgebäudes vor Anker gegangen waren. Die Newa gibt sich hier ganz zivil, fließt mit majestätischer Entschlossenheit dahin und leckt mit ihren tausend schaumigen Zungen an den Granitsteinen des Uferdamms.
    Apropos Zungen, Ljuba hatte eines ihrer gefeierten Hammelzungenbrote bereitet, ganz saftig und lecker, mit viel Meerrettich und scharfem Senf, garniert mit einem Klacks Stachelbeerkonfitüre. Für mich hatte sie es sogar extra auf amerikanische Art angerichtet, mit zwei Brotscheiben statt einer. Ich verlangte sofort nach mehr, dann nach noch mehr, was sie maßlos freute. »Ach, aber wer sorgt sich zu Hause um Euer Essen?«, fragte sie, wobei sie mich fälschlicherweise in der Höflichkeitsform anredete, als wollte sie die Tatsache anerkennen, dass ich schon 30 war.
    »Mjamjamjam«, machte ich, während die zarte Zunge auf der meinen zerging (
wie ein Zungenkuss mit einem Schaf
, fiel mir ein). »Wer mich bekocht? Na, Jewgenia natürlich. Kannst du dich noch an meine Köchin erinnern? Ganz rund und rosig.«
    »Nun, ich koche jetzt
selber
«, verkündete Ljuba stolz. »Und als Boris noch am Leben war, habe ich immer dafür gesorgt, dass er gut gegessen hat. Es kommt nicht nur darauf an, dass es schmeckt, weißt du. Man muss auch an die Gesundheit denken, Mischa! Die Hammelzunge ist zum Beispiel für ihren hohen Gehalt an Mineralstoffen bekannt, gut für deine Energie und Manneskraft. Schrecklich gesund,besonders im Wechsel mit kanadischem Speck, der gut für die Haut ist. Mein Hausmädchen kauft bei Jelissejew, nur das Beste.« Sie hielt inne und musterte mich von oben bis unten, freute sich über meinen Bauchumfang, meine im Selbstversuch erwiesene Fähigkeit, mich unter Druck auszudehnen. »Ich könnte ja mal vorbeikommen und für Euch kochen«, sagte sie. »Andernfalls seid Ihr mir hier immer zum Essen willkommen.«
    Der Tod verändert die Menschen. Ich hatte mich bestimmt verändert, seit der Geliebte Herr Papa geköpft worden war, aber Ljuba war einfach überhaupt nicht mehr wiederzuerkennen. Dass Papa sie im Wesentlichen wie eine Tochter behandelt hatte, war kein Geheimnis – ein paar Mal hatte sie ihn
papotschka
, also »Väterchen«, genannt, während sie einen improvisierten Stepptanz rund um den Küchentisch aufführte oder ihm während einer nervtötenden Vorstellung von
Giselle
im Mariinski-Theater vermeintlich diskret einen runterholte (sie dachte, ich wäre bei der Traubenernte-Szene weggedöst; dem war unglücklicherweise nicht so).
    Aber nun, da
papotschka
uns verlassen hatte, sorgte sie mit großem Aplomb für sich selbst. Sogar ihre Aussprache hatte sich verbessert. Sie sprach nicht länger das lässige Neurussisch ihrer verblödeten Freunde, ein provinzielles, pseudogangstermäßiges, mit Lehnwörtern wie
dragon roll
oder
face control
durchsetztes Gelalle, sie drückte sich reservierter aus, schlicht und depressiv wie kultivierte mittellose Menschen.
    Auch ihre Kleiderwahl beeindruckte mich. Verschwunden war das übliche Leder-Ljuba-Styling; stattdessen trug sie Rock und Bluse aus zeitgemäßem dunklem Jeansstoff, darum einen überdimensionierten roten Plastikgürtel mit einer gigantischen
faux
-texanischen Schnalle. Sah sehr nach Williamsburg, Brooklyn, aus, Epoche: zirka gerade jetzt.
    »Ich muss dir das Kinn abputzen«, sagte Ljuba und wischte mir mit drei langen, nach Senf duftenden Fingern über meine Doppelpampelmuse.
    »Danke«, sagte ich. »Ich kann noch immer nicht anständig essen.« Und das stimmt.
    »Hast du schon meine neue orangene Decke von Stockmann gesehen?«,fragte sie und wandte sich zum Ausatmen ab. Ich sog die Frische ihrer jugendlichen Mundhöhle auf, roch starken britischen Pfefferminzbonbon, unterschwellig versetzt mit dem Schwefelhauch der Hammelzunge. Sie lächelte mich an, ihre Backenknochen sprengten den Rahmen osteuropäischer Backenknochen und betraten das liebliche Territorium

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