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Snapshot

Snapshot

Titel: Snapshot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Robertson
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und mich aus dem Weg gestoßen. Sie wurde frontal getroffen, am Kopf. Ich lag da, ihr Blut ist auf mein Gesicht getropft. Sie ist auf mir gestorben. Ich hab gesehen, wie der Typ aus dem Auto gestiegen ist, ich hab seinen sperrangelweit geöffneten Mund gesehen und die Nachbarn, die aus den Häusern gerannt sind und sich die Lunge aus dem Leib geschrien haben, aber ich hab nichts gehört. Ich hab nur ihr warmes Blut auf meinem Gesicht gespürt.«
    » Das war der Schock«, versuchte Rachel ihn zu trösten. » Tony…«
    » Die Nachbarn haben sie dann von mir runtergenommen. Sie wollten wissen, ob ich verletzt war. War ich nicht. Ich hatte nur ein paar Kratzer, nur ein aufgeschlagenes Knie. Aber sie… sie…«
    » Tony, das war nicht deine…«
    » Doch, natürlich. Natürlich war es meine Schuld. Sie hatte es mir tausendmal gesagt, aber ich bin trotzdem auf die Straße gerannt. Hätte ich einfach mal auf sie gehört, wäre sie noch am Leben. Das hatte sie nicht verdient. Ich hatte sie nicht verdient.«
    Eine einzelne Träne floss über seine Wange. Rachel drückte ihn mit aller Kraft an sich.
    » Und was ist mit deinem Dad?«, fragte sie nach einer Weile. Ihre Stimme klang, als wollte sie die Antwort gar nicht hören.
    » Er hat es geschafft, sich in vier Jahren zu Tode zu saufen. Damit war er gut in der Zeit, selbst für Glasgower Verhältnisse. Ich mach ihm keinen Vorwurf. Er hatte nicht nur seine Frau verloren, nein, er musste es auch noch mit dem jämmerlichen kleinen Arschloch aushalten, das sie umgebracht hatte. Wenn ich nicht grad geschlafen habe, hab ich Rotz und Wasser geheult, und ich konnte kaum schlafen. Er hat meinen Anblick einfach nicht mehr ertragen. Wahrscheinlich hab ich ihn in den Wahnsinn getrieben, auf jeden Fall hab ich ihn in den Suff getrieben. Zwei Jahre nach ihrem Tod haben sie ihn dann in der Schule rausgeschmissen. Mein Onkel Danny meint, sie hätten schon Verständnis gehabt, aber irgendwann wär er eben untragbar gewesen. Er hat im Unterricht gelallt, und als ihn irgendein Gör verarscht hat, ist ihm die Hand ausgerutscht. Damit war er erledigt. Aber was soll’s, so hatte er wenigstens mehr Zeit zum Trinken.«
    » Und wer hat sich um dich gekümmert?«
    » Mein Dad, bis es nicht mehr ging, bis er wegen der Sucht und wegen meiner unerträglichen Visage gar nicht mehr aus der Kneipe rausgekommen ist. Da haben mich Janette und Danny, meine Tante und mein Onkel, zu sich genommen. Ich glaube, ihm war das nur recht. Ich hab ihn sowieso nur an Mum erinnert. Und dann hat seine Leber Schluss gemacht, chronisches Leberversagen als Folge einer Alkoholhepatitis. Erst fünfundzwanzig und schon unter der Erde.«
    » Mein Gott. Das tut mir so leid, Tony. Warum hast du mir das nie erzählt?«
    » Ist halt keine besonders schöne Geschichte. Vor allem, wenn man selber schuld ist.«
    Tränen sickerten in sein Hemd.
    » Es ist nicht deine Schuld.«
    » Ja, das wollte ich mir auch einreden. Denkst du, ich hätte es nicht versucht? Mit Psychologen, mit Psychiatern. Aber die Tatsachen kann man nicht ändern. Es ist meine Schuld. Ich habe meine Mum umgebracht und meinen Dad in den Tod getrieben. Ich habe kaum Erinnerungen an ihn. Ich seh ihn nur noch vor mir, wie er unrasiert dasteht und mich anschreit, dass ich endlich mal das Maul halten soll. Ein unglaublich rabiater Typ. Und wenn er mich angebrüllt hat, hab ich nur noch mehr geheult.«
    » Und seitdem warst du bei deiner Tante und deinem Onkel?«
    Winter nickte. » Ja, bis ich siebzehn war. Sobald ich konnte, bin ich da weg. Ich bin von der zwölften Klasse direkt auf die Uni. Janette und Danny waren großartig, aber ich fürchte, ich hab sie genauso wahnsinnig gemacht wie alle anderen. Ich war kein einfaches Kind.«
    » Das ist nicht sehr verwunderlich, Tony.«
    » Ja, klar. Aber ich war wirklich das Letzte. Ich weiß noch, einmal in der Grundschule, in der Dritten oder Vierten… da haben wir eine große schwarze Krähe auf dem Pausenhof gefunden. Sie war tot, irgendein Blödmann hatte sie mit einem Stein erwischt. Wir sind alle hin und haben sie angeguckt, mit einem Stock angestupst und so weiter. Den anderen ist das irgendwann langweilig geworden, aber ich konnte einfach nicht wegschauen. Ich hab in ihre leeren, schwarzen Augen gestarrt und mich gefragt, was diese Augen jetzt noch sahen. Ich hab über ihre Seele und ihren Geist nachgedacht. Ich wollte wissen, wo das Leben, das mal in ihr drin war, jetzt hin war. Von daher war ich schon ein ziemlich

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