Snapshot
dafür war er nicht ans College zurückgekehrt. Oder doch? Immerhin hatte er sechs Jahre gebraucht, um dieses Stadium zu erreichen, das Stadium der totalen Langeweile. In Momenten wie diesem fragte er sich, ob es nicht doch ein bisschen Spaß gemacht hatte, Computernetzwerke zu installieren. Oder, und das war eigentlich noch bedenklicher, ob es so ein großer Unterschied gewesen war.
Die bittere Ironie war, dass er von Anfang an zu den Cops gewollt hatte. Sein Onkel Danny war Bulle gewesen, und früher hatte Winter vor allem ein Ziel im Leben gehabt: so zu sein wie Onkel Danny. Deshalb hatte er sich beworben und den üblichen Eignungstest sowie die Fitnesstests in Jackton mit fliegenden Fahnen bestanden– um dann das Bewerbungsgespräch in den Sand zu setzen. Dabei hatte er bloß die Wahrheit gesagt. Hätte er für sich behalten, wie sehr ihn der Tod faszinierte, hätte er wahrscheinlich nicht auf seinen Plan B zurückgreifen müssen: Programmierer. Eine Zeit lang hatte er sich noch gefragt, warum man ihm nicht erlauben wollte, in der Innenstadt auf Streife zu gehen, aber millionenschwere Software verwalten oder Leichen ablichten, das traute man ihm zu. Letztendlich war er zu dem Schluss gekommen, dass das Ganze mehr über die Polizei an sich und über psychometrische Testverfahren im Allgemeinen aussagte als über seine Persönlichkeit.
Die Leute in seinem Bekanntenkreis hatten die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen. Wer gab schon einen guten Job als IT -Profi auf, um als Polizeifotograf zu schuften? Wie konnte man ohne Not einen guten Abschluss in den Müll werfen? Sie hatten einfach nicht kapiert, dass er keine Sekunde länger vor einer Tastatur sitzen wollte. Kaum hatte er Metinides’ Fotografien in einer Londoner Ausstellung gesehen, hatte ihn die Sucht gepackt. Damit trat er zwar nicht in Onkel Dannys übergroße Fußstapfen, aber vielleicht passte es sogar besser zu ihm. Schon als er das Werk des Mexikaners betrachtet hatte, hatte er diesen Kitzel gespürt, und er war sich sofort sicher gewesen – seine eigenen Fotos zu schießen wäre noch zehnmal intensiver.
Doch die Fotos, die er jetzt für Caroline Sanchez, eine Kollegin aus der Spurensicherung, abheften durfte, waren geradezu übertrieben langweilig. Ein Mazda MX -5 hatte eine rote Ampel überfahren und war in einen Bus aus der Gegenrichtung gekracht, der mit Karacho über die grüne Ampel gerauscht war. Der Fahrer des Mazda war mit einem gebrochenen Arm davongekommen, aber nun mussten natürlich eine Unmenge Scherben fotografiert und zu den Akten gelegt werden. Winter konnte nur noch auf göttlichen Beistand hoffen. Während Sanchez am Schauplatz eines Raubüberfalls in Summerston über irgendwelchen Reifenspuren kauerte, musste er in den Katakomben der Pitt Street hocken und ihren elektronischen Papierkram erledigen.
Aber das gehörte nun mal zu dem Vertrag mit dem Teufel, den er geschlossen hatte– zu dem seltsamen Konstrukt, das seinen Verbleib in den Diensten der Strathclyde Police als einer der beiden letzten ausgebildeten Fotografen sicherte. Die restliche Arbeit wurde von Affen in Ganzkörperkondomen erledigt, von Leuten, die den Unterschied zwischen Blende und Belichtung nachschlagen mussten und froh waren, wenn sie das Knöpfchen fanden. Klar, mit Leichenlipid, Petechien und Minutien kannten sie sich aus, da waren sie die Experten, aber mit einer Kamera wussten sie rein gar nichts anzufangen. Draufhalten, ein bisschen an der Schärfe rumspielen und abdrücken, möglichst oft abdrücken, damit vielleicht ein Treffer dabei war. Und warum auch nicht, denn eigentlich ging es ja nicht ums Fotografieren, sondern ums Geld. Wie immer halt. Ein Spurensicherungsmensch, der zugleich die Aufgaben des Fotografen übernahm, das war eine erhebliche Kosteneinsparung. Dabei hätte es sehr oft nicht nur einen echten Fotografen, sondern auch althergebrachten Film statt eine moderne SD -Karte gebraucht. Bissspuren beispielsweise ließen sich mit billiger Digitalfotografie überhaupt nicht vernünftig einfangen, spätestens vor Gericht war eine Detailtiefe gefragt, wie sie nur mit echtem Film drin war. Winter hatte sein Handwerk noch an einer alten Hasselblad H4D erlernt, bei der man exakt zwölf Versuche hatte. Da musste man verdammt aufpassen, dass man keines der zwölf Bilder vermasselte. Ganz anders als heutzutage, wo die Forensiker ihre Kameras wie Schrotflinten abfeuerten.
Aber eigentlich durfte Winter sich nicht beschweren. Immerhin hatte der
Weitere Kostenlose Bücher