Snapshot
kein großes Rätsel: Das war die Munition für die L115A3. Drei Schachteln waren voll, die vierte nicht mehr ganz halb voll. Winter konnte nicht wissen, ob es ursprünglich ein paar Schachteln mehr gewesen waren, die derjenige, der McKendrick ermordet und versteckt hatte, hatte mitgehen lassen. Aber eins war klar: Vom Gewehr selbst fehlte jede Spur. Er hatte überall gesucht, sogar unter der Leiche, und nichts gefunden. Sofern das Gewehr mal hier gewesen war, und darauf hätte er gewettet, war es nun verschwunden. Und deshalb stellte sich die Frage, ob es vielleicht gerade im Einsatz war. Sonst hätte man es doch genauso gut hier im perfekten Versteck lassen können.
Ihm war klar, dass er dem Stapel Fotografien auf dem Regalbrett bisher unbewusst aus dem Weg gegangen war. Er hatte sich das Beste oder Schlimmste für den Schluss aufgehoben. Jetzt nahm er sich das oberste Foto vor. Scheiße, warum zitterten seine Hände so? Es war ein Schwarz-Weiß-Ausdruck auf normalem Papier, wahrscheinlich direkt aus dem Computer. Er wusste sofort, wo es geschossen worden war: im Smeaton Drive in Bishopbriggs, den er aus den Fernsehberichten über den Mordanschlag auf Johnstone kannte. Er identifizierte Alex Shirley und Baxter, daneben stand eine Ansammlung Gestalten in Ganzkörperoveralls.
Winter legte den Ausdruck zurück aufs Regalbrett und schnappte sich den nächsten. Er kam aus dem Staunen nicht heraus. Ein Foto aus Dixon Blazes, auf dem zwei undeutliche Figuren zu sehen waren, Rachel und McConachie, die sich ungläubig anstarrten. Mit schnellen Fingern und zuckenden Blicken arbeitete er sich durch den Stapel. Die Raststätte Harthill, der Glasgow Harbour, die Central Station. Smeaton Drive, Kinnear Road. Fotografien der verschiedenen Tatorte, meist mit Zoom geschossen, zum Teil vor den Morden auf einer Aufklärungsmission oder bei einer Trockenübung mit Kamera statt Kanone. Aber zum Teil auch danach. Irgendwie, auf irgendwelchen Wegen, war der Gejagte zurückgekehrt und hatte die Jäger abgelichtet. Oder waren sie die Gejagten?
Neben Gruppenfotos des Teams » Nachtschwalbe« gab es auch Bilder einzelner Teammitglieder, die teils so nah herangezoomt oder so stark vergrößert waren, dass nicht mehr zu erkennen war, wann und wo sie geschossen worden waren. Der wutentbrannte Alex Shirley. Der angepisste Addison. Die besorgte Jan McConachie. Der hypnotisierte Colin Monteith. Und auch er, Tony, schwer beschäftigt. Der ernste Baxter. Die abgeklärte Cat Fitzgerald. Und Rachel.
Rachel.
Rachel in einem weißen Overall an der Central Station, und zu ihren Füßen eine Leiche, bei der es sich nur um Cairns Caldwell handeln konnte. In Winters Kehle stieg wütende Galle auf. Als er die Soße hinunterwürgte, musste er sich zusammenreißen, um in seiner Hilflosigkeit nicht auf McKendricks Leiche einzutreten oder irgendetwas zu zerschmeißen. Wahrscheinlich hätte er sogar mit einer Nahaufnahme rechnen müssen, aber das Foto traf ihn wie ein Hammerschlag. Rachel. Um Himmels willen.
Mit bebenden Fingern legte er das Foto beiseite. In seinem Inneren staute sich immer mehr Nervosität an. Seine Nackenhaare stellten sich auf, als stünden sie unter Strom.
Auf dem nächsten Foto war er selbst zu sehen, von der Seite, sodass sein Gesicht kaum auszumachen war. Der dunkle Umriss am Boden konnte nur der schwarze Ledermantel sein, den Jimmy Adamson bei seiner Ermordung getragen hatte. Der Täter hatte Winter im Glasgow Harbour geknipst, wie er Jimmy in seiner schweren Lederkutte anvisierte. War das jetzt Ironie, dass er beim Fotografieren fotografiert worden war? Oder war es einfach eine Drohung?
Das nächste Foto. Eine Szene im Dixon-Blazes-Industriegebiet, aber etwas unscharf, als wäre sie in aller Eile aufgenommen worden. Eine ganze Gruppe Cops, die auf die Tür der Lagerhalle mit der gekreuzigten Leiche starrte, die aber nicht im Bild war. Sich selbst und Addison fand Winter nicht, offenbar waren sie erst später dazugestoßen. Er legte den Ausdruck wieder aufs Regalbrett und fragte sich, wie zum Teufel der dunkle Engel so dreist oder blöd sein konnte, so lange zu bleiben, um dieses Foto zu schießen. Dabei nahm er den nächsten Ausdruck vom Stapel. Wieder Rachel. Die Nahaufnahme.
Diesmal hatte er sie abgelichtet, wie sie in der Highburgh Road aus der Haustür trat. Aus ihrem Zuhause. In einem schlichten Kostüm, offenbar auf dem Weg zur Arbeit. Die Erkenntnis ging in Winters Kopf hoch wie eine Bombe: Er wusste, wo sie
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