Snapshot
wohnte.
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Die Abstellkammer drehte sich vor Winters Augen, und sein Kopf dröhnte, als hätte man ihm etwas Schweres, Hartes über den Schädel gezogen. Nur die Wand in seinem Rücken hielt ihn auf den Beinen, bis er doch noch auf den Boden rutschte und dort hocken blieb, das Foto in den Händen. Um sich selbst hatte er keine Angst, aber er starb vor Sorge um Rachel. Und er war bereit, für sie zu kämpfen. Wäre McKendrick noch am Leben gewesen und hätte er es auf sie abgesehen, Winter hätte ihn eigenhändig getötet. Wenn McKendricks Mörder es auf sie abgesehen hatte, dann würde er eben den umbringen.
Keine Frage, das war Rachels Haus. Wie oft hatte er diese Tür schon gesehen? Der rote Backstein, die vier Stufen zur Sprechanlage, links die Hecke mit der Straßenlaterne, rechts die Spitzengardine. Das niedrige schwarze Geländer, an der Innenseite der Scheibe das Schild mit der Aufschrift » Bitte Tür schließen« und ganz außen ein Stück vom Radweg am Straßenrand. Das Foto war von der Caledon Street aus geschossen worden, die im rechten Winkel auf die Highburgh Road traf, direkt gegenüber von Nummer 21 und dem Eingang, der zu Rachels Wohnung im obersten Stock führte.
Rachel trug einen dunklen Hosenanzug mit dunkelgrüner Bluse und wischte sich gerade das Haar aus dem Gesicht. Wann hatte sie diese Bluse angehabt? Verzweifelt versuchte Winter, sich zu erinnern. Das machte sie ihm immer zum Vorwurf, dass er nicht auf so was achtete. Vielleicht gestern? Entweder gestern oder vorgestern. Je kürzer es her war, desto besser, überlegte er, umso weniger Zeit hätte der Unbekannte gehabt, um sie… Er konnte es nicht zu Ende denken. Und es würde sowieso nicht dazu kommen, dafür würde er schon sorgen.
Als es neben ihm zischte, schnellte sein Kopf herum. In der Tür lauerte eine einzelne Ratte, die sich auf die Hinterbeine gestellt hatte. Unter Winters Blick zuckte sie nicht mal zusammen. Vielleicht spürte sie seine Angst, oder sie war einfach wütend, weil er sie und ihre Kumpel von ihrem Gelage abhielt. Aber egal, was sie gewittert hatte, sie konnte nicht wissen, dass er sich nicht vor ihr fürchtete. Nicht mehr. Vorhin hätte ihm die Ratte einen Riesenschrecken eingejagt, aber jetzt graute ihm vor ganz anderen Dingen.
Er rappelte sich auf und ging geduckt auf sie zu, wie ein Hund, der einem Auto hinterherjagte. Völlig sinnlos, aber das reichte schon. Die Ratte fuhr herum, ihr rosa Schwanz peitschte um die Ecke, und weg war sie.
Winter ließ sich wieder auf den Boden sinken. Mit einem dumpfen Aufprall kippte sein Rücken gegen die beruhigend kühle Wand. Er ging seine spärlichen Optionen durch. Vielleicht war die Ratte ein Fingerzeig, vielleicht sollte er sich schleunigst verpissen. Ja, so ein Zeichen sollte man wohl nicht in den Wind schlagen.
Aber vorher fischte er noch einmal die Kamera aus der Gesäßtasche und knipste die ausgedruckten Fotografien, eine nach der anderen. Seine Hände zitterten stärker, als ihm lieb sein konnte, und spätestens beim Anblick der Bilder von Rachel hielt er es nicht mehr aus. Er musste schnellstens hier raus und zurück ans Tageslicht, sofort. Grahamston, die Alston Street, die Central Station– er wusste nicht, wo er hier hingeraten war, aber die Wände schienen immer näher zu rücken. Er spürte einen Anflug von Klaustrophobie, was ihm noch nie passiert war, und deshalb musste er hier weg.
Am Schluss warf er die Decke über McKendricks Leiche. Er bemühte sich nicht, sie genauso zu platzieren, wie er sie vorgefunden hatte, da die Ratten sowieso schon dran gewesen waren und sich zweifellos erneut über ihn hermachen würden. Die Ausdrucke lagen wieder in einem Stapel auf dem Regalbrett, die Schachteln standen an ihrem alten Platz. Winter atmete langsam aus, schob sich rückwärts aus der Abstellkammer und ging die Route nach oben im Kopf durch. Er war sich einigermaßen sicher, dass er den Weg wusste. Schließlich hatte er sich nur an zwei Punkten für eine Richtung entscheiden müssen. Da fiel ihm plötzlich auf, dass es mehrere Eingänge geben musste– der schwere Deckel in der Gasse hinter dem McDonald’s war offensichtlich schon länger nicht mehr verrückt worden. Außerdem waren die Fußabdrücke erst nach einer ganzen Weile aufgetaucht. Also hatten McKendrick und sein Mörder einen anderen Weg genommen.
Natürlich hätte er versuchen können, den Fußspuren zu dem anderen Eingang zu folgen. Aber er wollte hier nicht noch länger rumhängen, und
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