Snapshot
Station und in der Kinnear Road sowie auf etwaige weitere Vorfälle konzentriert werden. Von nun an herrsche Ausnahmezustand, erklärte er, und es sei an ihnen, selbigen möglichst bald zu beenden.
Winter fiel dabei die Aufgabe zu, immer dort zu sein, wo er gebraucht wurde, und sämtlichen Kollegen zu jeder Tages- und Nachtzeit zur Verfügung zu stehen. Kurz gesagt: Er würde immer mittendrin sein, und das war ihm nur recht. Den Blick auf die Fotografien der toten Drogenbarone gerichtet, wünschte er sich etwas, das er niemals aussprechen durfte, schon gar nicht in einem Zimmer voller Cops: mehr davon.
Williamson war richtig in Fahrt gekommen. Das Labor habe inzwischen bestätigt, dass das tödliche Projektil in beiden Fällen von derselben Waffe abgefeuert worden sei, bei der es sich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit um eine Variante der L115A3 handele, eines Scharfschützengewehrs, das vom Militär verwendet werde. Außerdem…
Da klingelte das Handy, das vor Shirley auf dem Tisch lag. Für einen Moment starrte der Superintendent das Telefon an, als könnte er nicht glauben, dass es ihn ausgerechnet jetzt störte, bevor er abhob und bellte: » Was ist?«
Sämtliche Augen richteten sich auf Alex Shirley. Wegen einer Kleinigkeit würde man Temple nicht mitten in einer derart wichtigen Besprechung behelligen. Das war selbst Winter klar.
Shirley lauschte mit konzentrierter Miene, doch mit der Zeit bröckelte sein steinerner Gesichtsausdruck. Seine Augen weiteten sich, sein Kiefer klappte herunter– nur eine Spur, aber weit genug, um die versammelten Cops zusammenzucken zu lassen.
» Zur Raststätte Harthill«, flüsterte er, als er aufgelegt hatte. » Zur Raststätte Harthill! Sofort!«
13
Eine halbe Stunde früher
In vollem Tempo rauschte der weiße Lieferwagen über die Abfahrt des M8 zur Raststätte Harthill. Am äußeren Rand des Geländes, wo weit und breit keine Autos parkten, legte er eine Vollbremsung hin. Sofort öffnete sich die Tür, und der Fahrer sprang auf den Asphalt. Sein Kopf verschwand unter einer schwarzen Sturmhaube.
Mit entschlossenen Schritten marschierte er hinter den Lieferwagen, riss die Doppeltür auf und zerrte zwei Männer ins Freie. Beide waren an Händen und Füßen gefesselt. Als sie auf den Boden schlugen, holte der Fahrer wortlos aus und rammte den Stiefel erst ins Zwerchfell des einen, dann aufs Knie des anderen Mannes. Danach bückte er sich und löste die Fußfesseln, begleitet von einem weiteren saftigen Stoß in die Kniekehlen. Hilflos krümmten sich die Männer auf dem Asphalt. Der Maskierte zog sie auf die Knie und befreite ihre Hände, baute sich hinter ihnen auf und beförderte sie mit Tritten und Schubsern weg vom Lieferwagen, in Richtung der Tankstelle in einigen Hundert Metern Entfernung. Bis auf ein paar Sattelschlepper war der Weg frei.
Die Wucht seiner Tritte prügelte sie auf die Beine und ließ sie nach vorne taumeln. Unter verwirrtem Blinzeln drehten sie sich um. Warum ließ er sie gehen? Nach allem, was er ihnen angetan hatte, angesichts ihrer blutigen Schrammen und Prellungen, wagten sie kaum, daran zu glauben.
Sie sahen sich an, drehten sich noch einmal um – und setzten sich in Bewegung, erst langsam, dann immer schneller. Ein letzter Blick zurück, bevor sie rannten, so schnell sie mit ihren lädierten Beinen konnten. Vor ihnen lagen verlassene Parkplätze, dann die monströsen Sattelschlepper, dahinter die Tankstelle. Ihr Herz raste, kalter Schweiß stand ihnen auf der Stirn. Brennende, kreischende Gelenke. Sie durften nicht stehen bleiben. Sie mussten weiter, wenigstens bis zu den Sattelschleppern, am besten unter Leute. Dann hatten sie vielleicht eine Chance. Also versuchten sie, den Schmerz auszublenden, und rannten um ihr Leben.
Hinter ihnen heulte ein Motor auf. Sie erkannten das Geräusch sofort wieder. Diesem Motor hatten sie während ihrer Fahrt auf dem M8 lange genug gelauscht. Und die ganze Zeit hatten sie gedacht, dass es wahrscheinlich das letzte Geräusch war, das sie jemals hören würden. Das Jaulen des Lieferwagens glich dem Startschuss zu einem Wettrennen.
Und sie rannten, sie rannten schneller und schneller, obwohl die Schmerzen kaum noch auszuhalten waren. Und wenn sie auf halbem Weg einen Herzinfarkt hatten, sie mussten es riskieren, sie mussten zu den rettenden Sattelschleppern, zur rettenden Tankstelle. Offenbar war der Fahrer aufs Gas gestiegen, denn hinter ihnen brüllte der Motor noch lauter. Der Lieferwagen
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