Sniper
wir vor Häusern oder in Innenhöfen sahen, aber mehr konnten wir nicht tun.
Vielleicht erwarteten die Juristen, dass wir in die Kameras lächelten und winkten.
Es wäre ein Ding der Unmöglichkeit gewesen, im Irak durch die Gegend zu streifen und einfach so Menschen zu erschießen. Zunächst einmal gab es eine Menge Zeugen. Außerdem musste ich jedes Mal einen Bericht anfertigen, wenn ich jemanden in Ramadi erschossen hatte.
Kein Witz.
Es handelte sich dabei um ein Dokument, das unabhängig von den Einsatzberichten erstellt werden musste und sich ausschließlich auf die Schüsse bezog, mit denen ich Menschen getötet hatte. Die Informationen mussten sehr genau sein.
Ich hatte daher immer einen kleinen Notizblock dabei und musste Dinge festhalten wie den Tag, die Uhrzeit, Angaben zur Person, was sie tat, welche Munition ich verwendete, wie weit das Ziel entfernt war und welche Zeugen anwesend waren. All das floss in den Bericht ein, ebenso weitere besondere Umstände.
Die Befehlsleitung behauptete, dies diene meiner Absicherung für den Fall, dass eine Ermittlung wegen eines ungerechtfertigten Todesschusses eingeleitet wurde, aber ich vermute eher, dass ich dadurch viele Leute schützte, die wesentlich weiter oben in der Befehlskette standen.
Wir hielten akribisch fest, wie viele Aufständische wir erschossen, auch in den heftigsten Feuergefechten. Einer unserer Offiziere hatte immer die Aufgabe, unsere Angaben zu überprüfen; er wiederum gab seine Informationen über Funk weiter. Oft war es sogar so, dass ich noch gegen Aufständische kämpfte, während ich LT oder einem anderen Offizier bereits Einzelheiten durchgeben musste. Das wurde mit der Zeit sehr lästig. Als der Offizier mich daher einmal zu den Details eines Schusses befragte, sagte ich ihm, dass es ein Junge gewesen sei, der mir zugewinkt habe. Natürlich war das nur ein kranker Witz von mir. Meine Art, »Leck mich!« zu sagen.
Die Bürokratie des Krieges.
Ich bin mir nicht sicher, wie verbreitet die Schützenberichte waren. Für mich begann dieser Zirkus jedenfalls während meines zweiten Auslandseinsatzes, als ich auf der Haifa Street aktiv war. Damals füllte sie aber noch jemand anderes für mich aus.
Ich bin mir ziemlich sicher, dass diese Maßnahme damals ausschließlich den Zweck erfüllte, irgendeinen Bürokratenhintern abzusichern.
Als in Ramadi unsere Trefferquote in die Höhe schoss, wurden schließlich sehr detaillierte Berichte auch ganz offiziell zur Pflicht. Ich schätze, der kommandierende Offizier oder jemand in seinem Stab sah die Zahlen und bekam es mit der Angst zu tun, die Anwälte könnten selbige eventuell infrage stellen, weshalb wir auf Nummer sicher gehen mussten.
Eine tolle Methode, Krieg zu führen – mach dich darauf gefasst, dich im Falle des Sieges rechtfertigen zu müssen.
Was für ein riesiger Haufen Hühnermist. Ich witzelte immer, dass es sich bei diesem Aufwand gar nicht lohnte, jemanden zu töten. (Andererseits wusste ich auf diese Weise genau, wie viele Menschen ich »offiziell« getötet hatte.)
Reines Gewissen
Manchmal schien es, als halte Gott die Aufständischen von einem Angriff ab, solange ich nicht schussbereit war.
»Hey, wach auf!«
Ich öffnete meine Augen und sah mich um. Ich lag auf dem Boden.
»Wechseln wir mal«, sagte Jay, mein LPO. Er war etwa vier Stunden als Sicherungsposten tätig gewesen, während ich ein Schläfchen gehalten hatte.
»In Ordnung.«
Ich stand auf und ging zum Gewehr.
»Und? Was gibt’s Neues?«, fragte ich. Immer wenn jemand ans Gewehr ging, unterrichtete derjenige, der abgelöst wurde, seinen Nachfolger, was sich in der Zwischenzeit ereignet, wer sich in der Gegend herumgetrieben hatte usw.
»Nichts«, sagte Jay. »Keine Menschenseele.«
»Ehrlich?«
»Ehrlich.«
Wir tauschten die Plätze. Jay zog seine Baseballkappe übers Gesicht, um etwas zu dösen.
Ich sah durch das Zielfernrohr und beobachtete die Gegend. Keine zehn Sekunden später marschierte ein Aufständischer mit gezückter Kalaschnikow ins Fadenkreuz. Ich beobachtete einige Sekunden lang, wie er sich an eine amerikanische Position heranpirschte und war mir daher sicher, dass der Schuss den Einsatzregeln entsprach.
Dann streckte ich ihn nieder.
»Ich hasse dich, du Penner«, murmelte Jay, der in der Nähe auf dem Boden lag. Er machte sich nicht einmal die Mühe, seine Kappe aus dem Gesicht zu nehmen oder gar aufzustehen.
Ich war mir stets sicher, dass ich die Richtigen aus den richtigen
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