Sniper
den Meniskus. Außerdem richteten sie das eine Kreuzband.
Ich war wie ein Rennwagen, der einmal auseinandergenommen und komplett generalüberholt wurde.
Als sie mit allem fertig waren, schickten sie mich zu Jason, einem Physiotherapeuten, der sich darauf spezialisiert hatte, mit SEALs zu arbeiten. Er war früher Trainer bei den Pittsburg Pirates gewesen. Nach dem 11. September beschloss er, seinen alten Beruf an den Nagel zu hängen und etwas für sein Land zu tun. Und zwar indem er seine Dienste dem Militär zur Verfügung stellte. Dafür nahm er sogar ein deutlich geringeres Gehalt in Kauf.
Das alles wusste ich nicht, als ich ihn zum ersten Mal traf. Ich wollte nur hören, wie lange die Reha dauern würde.
Er sah mich nachdenklich an.
»Bei einer solchen OP brauchen Zivilisten ein Jahr«, sagte er schließlich. »Football-Spieler sind in acht Monaten wieder fit. Bei SEALs ist das schwer zu sagen. Sie können es nicht leiden, dienstunfähig zu sein und tun alles, um schnell wieder auf die Beine zu kommen.«
Er prognostizierte schließlich sechs Monate. Ich denke, wir haben es in fünf geschafft. Aber in diesen Monaten dachte ich mehr als einmal, mein letztes Stündlein hätte geschlagen.
Jason setzte mich in ein Gerät, das meinem Knie seine alte Beweglichkeit wieder verschaffen sollte. Jeden Tag musste ich überprüfen, ob ich Fortschritte machte. Ich schwitzte Blut und Wasser, während die Vorrichtung mein Knie beugte. Schließlich schaffte ich 90 Grad.
»Das ist überragend«, sagte er mir. »Und jetzt mehr.«
»Mehr?«
»Mehr!«
Er hatte auch eine Maschine, die einen Stromstoß durch meine Muskeln sandte. Abhängig davon, durch welchen Muskel der Strom lief, musste ich unwillkürlich meine Zehen anziehen oder strecken. Das klingt nicht dramatisch, aber ich sage Ihnen, das ist eindeutig eine Art von Folter, die in den Genfer Konventionen verboten und selbst an SEALs nicht angewendet werden sollte.
Natürlich erhöhte Jason die Voltzahl immer weiter.
Aber das Schlimmste waren die Übungen selbst. Ich musste immer mehr und mehr und mehr davon machen. Ich erinnere mich, wie ich Taya oft anrief und ihr sagte, dass ich mich am Ende des Tages sicher übergeben – oder sicherheitshalber lieber gleich sterben – würde. Ich schien ihr leidzutun, aber rückblickend vermute ich fast, sie und Jason hatten sich damals verbündet und machten gemeinsame Sache.
Es gab eine Phase, in der Jason mich wahnsinnig viele Übungen für die Bauch- und Rumpfmuskeln machen ließ.
»Dir ist aber schon klar, dass meine Knie operiert worden sind?«, fragte ich ihn eines Tages, als ich einmal mehr meine Schmerzgrenze erreichte.
Er lachte nur und erklärte mir lang und breit, wie alles im Körper von starken Rumpfmuskeln abhängt. Ich persönlich glaube hingegen, es gefiel ihm einfach, mich im Kraftraum fertigzumachen. Ich könnte schwören, dass ich jedes Mal, wenn ich auch nur ein bisschen nachließ, im Hintergrund einen Peitschenhieb hörte.
Ich dachte immer, ich sei direkt nach dem BUD/S-Training in der besten Form meines Lebens gewesen. Aber nach fünf Monaten unter Jasons Aufsicht war ich in weitaus besserer Form. Nicht nur meinen Knien ging es gut, auch der Rest war in hervorragender Verfassung. Als ich zu meinem Zug zurückkehrte, fragten mich alle, ob ich Anabolika genommen hatte.
Harte Zeiten
Vor meiner Operation hatte ich meinen Körper an seine Grenzen gebracht und ihm nicht selten auch geschadet. Jetzt zerbröckelte etwas, das für mich viel wichtiger war als meine Knie – meine Ehe.
Das war die größte Baustelle. Zwischen Taya und mir hatte sich eine Menge Groll aufgebaut. Ironischerweise stritten wir uns nicht einmal besonders häufig, aber es herrschte immer eine große Spannung. Jeder von uns strengte sich nur so sehr an, dass er von sich behaupten konnte, er bemühe sich – wodurch er aber implizierte, dass der andere nicht genügend tat.
Nach all den Jahren in Kriegsgebieten und dem Getrenntsein von meiner Frau glaube ich, dass ich vergessen hatte, was es bedeutet zu lieben – welche Verantwortung damit verbunden ist, dass man dem anderen zuhören und sich auch mitteilen muss. Dieses Vergessen führte dazu, dass ich sie von mir stieß. Zu jener Zeit meldete sich eine ehemalige Freundin bei mir. Sie rief zuerst zu Hause an und Taya gab die Nachricht an mich weiter, da sie nicht davon ausging, dass ich fremdgehen wollte.
Ich nahm die Nachricht zuerst nicht ernst, wurde aber neugierig. Bald
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