Sniper
gefehlt und sie hätten uns dauerhaft Schaden zugefügt. Es gibt den allgemeinen Grundsatz, dass jeder Mensch eine Schmerzgrenze hat und jeder Gefangene früher oder später einbricht. Aber ich hatte mir vorgenommen, lieber zu sterben, als Geheimnisse preiszugeben.
Das Training mit Gas war eine weitere Herausforderung. Im Prinzip wird man einfach nur CS-Gas ausgesetzt und muss dagegen ankämpfen. CS-Gas (Captor Spray) oder Tränengas ist ein ziemlich aggressiver Reizstoff – und für alle Chemie-Interessierten: Der aktive Wirkstoff nennt sich 2-Chlorbenzalmalondinitril. Am besten kommt man damit zurecht, wenn man hustet und spuckt. Ziel des Trainings ist es zu lernen, die Augen tränen zu lassen; man darf sie sich auf keinen Fall reiben. Die Nase läuft zwar, man hustet und die Tränen fließen, aber mit etwas Übung kann man mit der Situation umgehen und trotzdem noch seine Waffe bedienen. Und genau darum geht es.
Wir fuhren nach Kodiak in Alaska, wo wir einen Navigationskurs zu Land absolvierten. Es war zwar nicht tiefster Winter, aber es lag immer noch so viel Schnee, dass wir Schneeschuhe tragen mussten. Wir fingen mit einigen grundlegenden Übungen an, um nicht zu unterkühlen – mehrere Kleidungsschichten übereinander zu tragen usw. – und erfuhren, wie man einen Unterstand im Schnee baut. Zu den wichtigsten Lektionen dieses Kurses zählte es herauszufinden, wie viel Ausrüstung man im Einsatz tatsächlich benötigte – etwas, das nicht nur in kaltem Klima von großer Bedeutung ist, sondern überall. Man muss herausfinden, ob es sinnvoller ist, leichter und beweglicher zu sein, oder mehr Munition und Körperpanzerung mit sich zu führen.
Ich ziehe eine leichte Ausrüstung vor, um möglichst schnell sein zu können. Wenn wir ausrücken, geht es bei mir nicht um Kilogramm, sondern um Gramm. Je leichter man ist, umso beweglicher wird man. Die kleinen Mistkerle, mit denen wir es oft zu tun bekommen, sind schnell wie der Blitz; man muss mit allen Tricks arbeiten, um ihnen beizukommen.
Das Training war bestimmt von einer unbarmherzigen Konkurrenz. Wir hatten nämlich irgendwann herausgefunden, dass nur der beste Zug im Team nach Afghanistan entsandt werden würde. Von diesem Zeitpunkt an wehte ein anderer Wind. Der Wettbewerbsdruck war groß, nicht nur im Trainingsparcours. Die Offiziere intrigierten auch im Hintergrund, um ihrem Zug einen Vorsprung zu verschaffen, und schreckten nicht davor zurück, zum Kommandanten zu gehen und sich gegenseitig anzuschwärzen:
»Haben Sie gesehen, was die Typen dort auf dem Schießplatz zustande gebracht haben? Die taugen einfach nichts …«
Am Schluss blieben nur noch wir und ein anderer Zug übrig. Wir verloren. Sie durften in den Krieg ziehen; wir blieben zu Hause.
Das ist so ziemlich das härteste Los, das einen SEAL ereilen kann.
Als der Konflikt im Irak düster am Horizont erschien, änderten sich unsere Prioritäten. Wir bereiteten uns auf Wüstengefechte und Häuserkämpfe vor. Wir trainierten hart, aber es gab auch den einen oder anderen heiteren Augenblick.
Ich erinnere mich, wie wir einmal einen Häuserkampf in einem echten urbanen Umfeld probten. Unser Führungsstab fand eine Gemeinde, die sich bereit erklärte, uns innerorts trainieren zu lassen und echte Gebäude zu stürmen – ein leeres Lagerhaus zum Beispiel oder ein Wohnhaus – also ein etwas authentischeres Szenario als das, das uns im Stützpunkt zur Verfügung stand. Bei einer dieser speziellen Übungen belagerten wir ein Haus, das wir stürmen sollten. Alles war mit den örtlichen Polizeibehörden abgesprochen worden. Einige »Schauspieler« waren engagiert worden, um im Rahmen der Übung verschiedene Rollen zu übernehmen.
Meine Aufgabe war es, für die Sicherheit im Außenbereich zu sorgen. Ich hielt den Verkehr an und schickte Fahrzeuge fort, während einige Polizisten dem Geschehen aus sicherer Entfernung zusahen.
Während ich also mit umgehängtem Gewehr auf dem Bürgersteig stand und ziemlich finster um mich blickte, kam ein Kerl die Straße entlang, geradewegs auf mich zu.
Und was soll ich sagen – ich hielt mich streng an meine Vorschriften. Zuerst versuchte ich, ihm mit einer Handbewegung anzuzeigen, er solle verschwinden; er kam weiter auf mich zu. Dann leuchtete ich ihn mit der Taschenlampe an; er kam weiter auf mich zu. Ich richtete den Laserpointer auf ihn; er kam weiter auf mich zu.
Je näher er kam, desto mehr war ich natürlich davon überzeugt, dass er ein Schauspieler
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