Sniper
jenem Jahr enorm zu. Eine Vielzahl von Gefechten im Frühjahr war so heftig wie jene, die während der ursprünglichen Invasion stattfanden.
In Bagdad bildete ein schiitischer Fundamentalist namens Muktada al-Sadr eine Armee fanatischer Anhänger und stachelte sie dazu auf, uns Amerikaner bei jeder sich bietenden Gelegenheit anzugreifen. Sadr hatte vor allem in jenem Teil Bagdads eine große Anhängerschaft, die als Sadr City bekannt ist, ein Getto das nach seinem Vater, Mohammad Mohammad Sadeq al-Sadr benannt ist, einem Groß-Ayatollah und Gegner der Regierung Saddams in den Neunzigerjahren. Sadr City war selbst für irakische Verhältnisse bettelarm und wurde vor allem von radikalen Schiiten bewohnt. Sadr City soll angeblich halb so groß sein wie Manhattan und lag nordöstlich von Bagdads Grüner Zone, jenseits des Armeekanals und der Imam Ali Street.
Für uns Amerikaner sahen viele Gegenden wie Slums aus – selbst diejenigen, die von der Mittelschicht bewohnt wurden. Saddams jahrzehntelange Herrschaft hatte den Irak, der aufgrund seiner Ölvorkommen ein vergleichsweise wohlhabendes Land hätte sein können, komplett heruntergewirtschaftet. Sogar in den besseren Gegenden vieler Städte sind die Straßen nicht asphaltiert und die Gebäude befinden sich in einem ziemlich desolaten Zustand.
Sadr City ist wirklich ein Slum, selbst für irakische Verhältnisse. Es war ursprünglich ein Sozialprojekt für arme Bevölkerungsgruppen, aber nachdem der Krieg über Bagdad hereingebrochen war, war es zu einem Unterschlupf für Schiiten geworden, die zuvor von Saddams von Sunniten dominierter Regierung diskriminiert worden waren. Nach Kriegsbeginn zogen sogar noch mehr Schiiten in die Gegend. Ich habe Berichte gesehen, in denen die Rede davon war, dass über zwei Millionen Menschen auf knapp 21 Quadratkilometern lebten.
Auf dem Reißbrett sind die Straßen 45 oder 90 Meter lang. In den meisten Gegenden gibt es zwei- oder dreistöckige Gebäude oder besser: schlecht zusammengezimmerte Bruchbuden. Selbst bei den repräsentativsten Gebäuden passten beispielsweise die Übergänge von Mauerverzierungen nicht zusammen. In vielen Straßen staute sich das Abwasser und überall lag Müll herum.
Muktada al-Sadr startete im Frühjahr 2004 eine Offensive gegen die amerikanischen Streitkräfte. Seine Verbände hatten bereits eine beachtliche Anzahl amerikanischer Soldaten – und eine noch größere Anzahl an Irakern – getötet, bevor der fanatische Extremist im Juni einen Waffenstillstand bekannt gab. Mit anderen Worten: Seine Offensive war zwar gescheitert, aber zumindest in Sadr City hatten die Aufständischen immer noch das Sagen.
In der Zwischenzeit hatten überwiegend sunnitische Aufständische die Provinz al-Anbar in ihre Gewalt gebracht, ein großes Gebiet westlich von Bagdad. Ihre Macht war vor allem auf die Städte konzentriert, unter anderem Ramadi und Falludscha.
In jenem Frühjahr wurde die amerikanische Öffentlichkeit vom Bild vierer geschändeter Sicherheitsleute erschüttert, die von einer Brücke in Falludscha hingen. Im Nachhinein war dies ein schlechtes Vorzeichen für das, was noch kommen sollte. Kurze Zeit später nahmen die Marines die Stadt ein, aber ihre Einsätze wurden nach heftigen Kämpfen eingestellt. Man schätzte, dass sie damals etwa 25 Prozent der Stadt in ihrer Gewalt hatten.
Laut Rückzugsplan sollten anschließend irakische Kräfte in die Stadt kommen, um die Kontrolle zu übernehmen. Ihr Auftrag war es, die Aufständischen auf Abstand zu halten. Theoretisch zumindest. Die Realität sah ganz anders aus. Im Herbst bestand Falludscha nur noch aus Aufständischen. Und für uns Amerikaner war die Situation damals noch gefährlicher als im Frühjahr.
Als ich im September 2004 in den Irak kam, hatte meine Einheit zwar bereits damit begonnen, sich auf einen neuen Einsatz vorzubereiten, um Falludscha ein für allemal zu befrieden. Aber ich ging stattdessen mit den Polen nach Bagdad.
Bei der GROM
»Kyle, Sie kommen mit.«
Der polnische Unteroffizier, der die Einsatzbesprechung leitete, strich sich über seinen dichten Bart, als er auf mich deutete. Ich verstand nicht viel Polnisch und er sprach nicht besonders gut Englisch, aber was er sagte, schien ziemlich eindeutig zu sein – sie wollten, dass ich während des Einsatzes mit ihnen das Haus stürmte.
»Klar doch«, sagte ich.
Er lächelte. Manche Formulierungen versteht jeder.
Nach einer Woche war ich vom Navigator zum Mitglied des
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