Sniper
vorschreiben, was du zu tun hast. Du wirst es mir nur nachtragen und mir dein ganzes Leben lang übel nehmen. Aber eins sage ich dir: Wenn du dich erneut verpflichtest, dann will ich genau wissen, wo wir stehen. Denn dadurch werden sich einige Dinge verändern. Ich will das zwar nicht, aber tief in mir weiß ich, dass es so sein wird.«
Als er verlängerte, dachte ich, okay. Jetzt ist es amtlich. Ein SEAL zu sein, ist ihm wichtiger, als ein Vater oder Ehemann zu sein.
Neue Kollegen
Während wir uns auf unseren nächsten Auslandseinsatz vorbereiteten, bekam der Zug Verstärkung. Einige der neuen Kameraden waren überragend – Dauber und Tommy zum Beispiel, die beide Scharfschützen und Sanitäter waren. Aber ich glaube, der Frischling, der den größten Eindruck auf mich machte, war Ryan Job. Und der Hauptgrund dafür war, dass er nicht wie ein SEAL aussah; im Gegenteil, Ryan sah aus wie ein großer Klops.
Ich konnte es nicht fassen, dass sie diesen Kerl ins Team gelassen hatten. Wir waren alle durchtrainierte Kämpfer, jeder von uns in absoluter Topform. Und dann schickten sie uns einen pummeligen, weichlich aussehenden Kerl.
Ich ging zu Ryan und provozierte ihn: »Was ist dein Problem, du Fettsack? Glaubst du ernsthaft, du wärst ein SEAL?«
Ich gebe zu, wir machten ihn ganz schön fertig. Einer meiner Offiziere – nennen wir ihn LT – kannte ihn vom BUD/S und legte ein gutes Wort für ihn ein, aber LT war selbst noch ein Frischling, sodass sein Wort nicht viel Gewicht hatte. Als Frischling hätten wir Ryan sowieso fertiggemacht, aber sein Übergewicht verschlimmerte alles nur. Wir mobbten ihn, wo wir nur konnten, und versuchten regelrecht, ihn aus dem Team zu ekeln.
Aber Ryan (dessen Nachname übrigens »Joub« ausgesprochen wird) gab nicht auf. Er war genauso entschlossen wie jeder andere. Der Kerl begann wie ein Besessener zu trainieren. Er nahm ab und kam zusehends in Form.
Wichtiger war jedoch, dass er alles tat, was wir ihm sagten. Er war ein so fleißiger Arbeiter, so aufrichtig und so verdammt witzig, dass wir ihn irgendwann einmal einfach ins Herz schließen mussten. Irgendwann hieß es nur noch: »Hey, du bist schwer in Ordnung . « Denn ganz gleich, wie er aussah, er war ein echter SEAL. Und ein verdammt guter obendrein.
Anfangs nahmen wir ihn aber wirklich hart ran, das können Sie mir glauben. Wir suchten den größten Kerl im Zug und zwangen Ryan dazu, ihn zu tragen. Er tat es. Wir wiesen ihm im Training die anstrengendsten Aufgaben zu; auch die führte er klaglos aus. Und er brachte uns immer wieder zum Lachen. Er hatte diese tolle Mimik. Er konnte seine Oberlippe schürzen, schielen und seine Augen verdrehen, dass man sich einfach kaputtlachen musste.
Diese Fähigkeit führte zwangsläufig zu vielen lustigen Situationen. Zumindest lustig für uns.
Einmal sagten wir ihm, er solle seine berühmte Grimasse vor unserem Chief schneiden.
»A-aber …«, stammelte er.
»Mach’s einfach«, forderte ich ihn auf. »Provozier ihn. Du bist der Frischling. Du musst.«
Das tat er dann auch. Weil der Chief dachte, Ryan wolle sich vor versammelter Mannschaft als Clown profilieren, packte er ihn am Hals und warf ihn zu Boden.
Das stachelte uns aber nur auf, und wir ließen Ryan die Grimasse immer wieder schneiden. Er ließ sich jedes Mal darauf ein und handelte sich gewaltigen Ärger ein. Schließlich zwangen wir ihn dazu, vor einem unserer Offiziere zu grimassieren – ein großer Kerl, mit dem man sich definitiv nicht anlegen wollte, nicht einmal als SEAL.
»Und jetzt vor ihm«, sagte einer von uns.
»Oh Gott, nein«, protestierte er.
»Wenn du’s nicht sofort machst, würgen wir dich bewusstlos«, drohte ich.
»Könnt ihr das nicht gleich hinter euch bringen?«
»Los jetzt«, sagten wir alle.
Er ging los und zeigte dem Offizier die Grimasse. Der reagierte in etwa so, wie wir es erwartet hatten. Nach einer Weile versuchte Ryan, durch Abklopfen seine Kapitulation anzuzeigen, um die Tortur zu verkürzen. Aber vergeblich.
»Dir werde ich helfen«, brüllte der Offizier und prügelte weiter auf ihn ein.
Ryan überlebte, aber das war das letzte Mal, dass wir ihn dazu zwangen, die Grimasse zu schneiden.
Ausnahmslos jeder, der dem Zug beitrat, wurde von uns schikaniert. Wir kannten da keine Standesunterschiede – die Offiziere litten genauso darunter wie die Mannschaften.
Damals erhielten die Frischlinge ihr Abzeichen noch nicht gleich – und galten demzufolge noch nicht als echte SEALs.
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