Snobs: Roman (German Edition)
ich außer Edith – mit der ich gerechnet hatte – noch ein weiteres Paar an, die Rattrays. Simon Rattray arbeitete anscheinend für die Immobilienfirma Strutt and Parker und redete viel vom Schießsport. Seine Frau Venetia erzählte ein wenig von ihren Kindern und hatte sonst kaum etwas zu sagen. Wir fuhren im stockenden Verkehr die Autobahn entlang und durch den Windsor Great Park, bis wir endlich die Rennbahn und den ziemlich entlegenen Parkplatz erreichten, den man David zugewiesen hatte. Es war ihm ein ewiger Dorn im Auge, dass ihm der Zugang zum Parkplatz Nummer eins verwehrt blieb, und er ließ seine schlechte Laune an Isabel aus, die ihn auf die Beschilderung hinwies. Mir machte das nichts aus; seine Gereiztheit gehörte für mich inzwischen zu Ascot wie die Zornesausbrüche meines Vaters wegen der Baumkerzen zu Weihnachten (eine meiner wenigen wirklich lebhaften Kindheitserinnerungen) – schließlich war ich schon mehrere Male mit den Eastons hier gewesen.
Bald stand der Wagen auf seinem nummerierten Platz, und der Lunch wurde ausgepackt. Wie ersichtlich, hatte Edith nichts dazu beigesteuert, da sich Isabel und Venetia allein daran zu schaffen machten; sie hantierten aufgeregt herum, schnitten und mischten, bis die Köstlichkeiten in ihrer ganzen Pracht vor uns angerichtet standen. Die Männer und Edith sahen in sicherem Abstand auf ihren Klappstühlen zu, champagnergefüllte Plastikgläser in der Hand. Wie immer hatte die aufwändige Vorbereitung bei der knappen Zeitspanne, die
für den Verzehr der Speisen zur Verfügung stand, etwas herzergreifend Sinnloses. Wir hatten kaum unsere Stühle an den wackeligen Tisch herangezogen, als Isabel auf die Uhr sah, was genauso zum Programm gehörte wie Davids Verdrossenheit über den Parkplatz. »Wir haben nicht viel Zeit. Es ist schon fünfundzwanzig vor zwei.« David nickte und nahm sich ein paar Erdbeeren. Niemand benötigte weitere Erklärungen. Ein Teil des gottesdienstähnlichen Rituals bestand darin, sich rechtzeitig zum Bereich der königlichen Tribüne zu begeben, um die königliche Familie aus Windsor vorfahren zu sehen. Man musste früh genug dort eintreffen, um sich einen Platz mit guter Sicht zu sichern. Edith sah mich an und verdrehte die Augen, doch wir stürzten gehorsam unseren Kaffee hinunter, steckten unsere Namensschilder an und machten uns auf den Weg zur Rennbahn.
Wir passierten die Ordner am Eingang, die emsig die Spreu vom Weizen trennten. Zwei Bedauernswerte waren gerade aufgehalten worden, ob wegen falscher Ansteckschilder oder falscher Kleidung, blieb mir verborgen. Edith drückte mir mit jenem verstohlenen Lächeln, das ich schon an ihr kannte, den Arm. Ich warf ihr einen schrägen Blick zu. »Hast du etwas Lustiges entdeckt?«
Sie schüttelte den Kopf. »Nein.«
»Was dann?«
»Ich habe eine Schwäche: Es bereitet mir außerordentliches Vergnügen, dort Zutritt zu erhalten, wo andere abgewiesen werden.«
Ich lachte. »Diese Schwäche darfst du ruhig haben. Viele andere teilen sie mit dir. Aber es zeugt von niedriger Gesinnung, sie zuzugeben.«
»Oje. Dann hab ich eine ausgesprochen niedrige Gesinnung, fürchte ich. Ich hoffe nur, dass ich deswegen nicht zurückgeschickt werde.«
»Das ist wohl kein Hindernis«, sagte ich.
Interessant an diesem Wortwechsel war Ediths Ehrlichkeit. Sie sah aus wie der Inbegriff der höheren Tochter, die sie ja auch war, doch ich begann zu verstehen, dass sie sich ihrer Lebenssituation beunruhigend bewusst war, während Mädchen ihresgleichen sonst immer so
tun, als hätten sie keine Ahnung von diesen Dingen. Nicht Ediths Gefühle waren es, die sie von den anderen abhoben. Engländer aller Schichten sind süchtig nach Exklusivität. Wenn drei Engländer in einem Raum versammelt sind, erfinden sie eine Regel, die verhindert, dass ein Vierter zu ihnen stößt. Im Unterschied zu Edith tragen die meisten Menschen und sicher sämtliche Snobs ihre Unkenntnis dieser Dinge zur Schau. Wer sich anmerken lässt, wie sehr er es genießt, dort Gast zu sein, wo die anderen Eintrittskarten kaufen müssen, durch ein Tor gewunken oder in einen Raum gewiesen zu werden, wo dem gemeinen Volk der Zugang verweigert wird, der wird von Aristokraten (oder Möchtegern-Aristokraten) nur leere Blicke und einstudierte Verständnislosigkeit ernten. Jede Dame mit gesellschaftlichem Schliff würde wahrscheinlich durch ein leises Heben der Augenbrauen zu erkennen geben, dass allein schon der Gedanke auf mangelnde Erziehung
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