Snobs: Roman (German Edition)
Pillbox-Hütchen. Sie sah frivol damit aus, doch im Gegensatz zu den würdigen Damen aus Weybridge in ihren Organzarüschen unsentimental und chic. Ihr Aufzug verlieh ihrem Gesicht Witz und Übermut, einem Gesicht, das etwas ungemein Betörendes hatte, wie ich nun erkannte. Als sie ihre Karte studierte und sich mit Charles’ Bleistift Bemerkungen zu den Namen der Pferde notierte, beobachtete ich ihn, wie er sie ansah; vielleicht wurde mir bereits hier zum ersten Mal bewusst, dass er sich möglicherweise zu ihr hingezogen fühlte. Sie besaß alle erforderlichen Qualitäten. Sie war hübsch und witzig und, wie sie selbst gesagt hatte, ungefährlich. Sie gehörte nicht seinen Kreisen an, lebte und redete aber wie seinesgleichen. Es ist ein beliebter Irrglaube, dass Lebensart und Umgangsformen der oberen Mittelschicht und der Oberschicht sich stark voneinander abheben. In Wahrheit besteht im Alltag so gut wie kein Unterschied. Natürlich ist der Kreis der Aristokratie viel kleiner, weshalb dort das Gefühl einer Art Clubzugehörigkeit herrscht. Mancher neigt dazu, die eigene gesellschaftliche Überlegenheit in Form einer lässigen Impertinenz auszuspielen, was in den eigenen
Kreisen niemanden stört, aber fast alle anderen aus der Fassung bringt. Doch von der Impertinenz einmal abgesehen, die zudem sehr leicht erlernbar ist, gibt es wenig, woran sich die beiden Schichten im gesellschaftlichen Umgang unterscheiden ließen. Nein, Edith Lavery war eindeutig eine Frau nach Charles’ Geschmack.
Wir sahen uns ein, zwei Rennen an, doch ich spürte, dass Edith mich auf die nettestmögliche Art loswerden wollte, und als Charles’ unvermeidlicher Vorschlag kam, bei White’s einen Tee zu trinken, entschuldigte ich mich und machte mich auf die Suche nach den anderen. Edith warf mir einen dankbaren Blick zu und das Paar schlenderte Arm in Arm davon.
Ich fand Isabel und David in einer der Champagnerbars hinter der großen Tribüne. Sie tranken warmen Pimm’s, denn der Gastronomie war das Eis ausgegangen.
»Wo ist Edith?«
»Sie ist mit Charles zu White’s gegangen.«
David blickte beleidigt vor sich hin. Dem Armen war es in Ascot nie gelungen, zu White’s vorzudringen, weder ins alte Zelt noch, so weit ich weiß, in die neue, mehr dem Raumzeitalter angepasste Lokalität. Er hätte seine rechte Hand für eine Mitgliedschaft gegeben. »Na großartig!«, sagte er mit zusammengebissenen Zähnen. »Ich hätte auch nichts gegen Tee gehabt.«
»Ich glaube, sie wollten sich Charles’ Gesellschaft anschließen.«
»Das ist wohl klar.«
Isabel sagte nichts, sondern nippte weiter an ihrem lauwarmen Getränk, auf dem vier Gurkenstückchen schwammen.
»Ich habe ihr gesagt, wir würden uns nach dem vorletzten Rennen beim Auto treffen.«
»Gut«, sagte David finster, und wir verfielen in Schweigen. Isabel muss ich zugute halten, dass sie immer noch eher interessiert als gereizt aussah, während sie in ihr unappetitliches Getränk blickte.
Edith lehnte schon am verschlossenen Auto, als wir zurückkamen, und ich sah sofort, dass sie den Tag als Erfolg verbuchen konnte.
»Wo ist Charles?«, fragte ich.
Sie nickte zur Tribüne. »Er sucht die Leute, bei denen er über Nacht bleibt. Er kommt auch morgen und Freitag.«
»Na, dann wünsch ich ihm viel Glück.«
»Hast du den Tag nicht genossen?«
»O doch«, sagte ich. »Aber nicht halb so sehr wie du.«
Sie lachte nur, ohne etwas darauf zu erwidern, und dann kam David und schloss das Auto auf. Er erwähnte Charles mit keinem Wort und verhielt sich Edith gegenüber spürbar mürrisch, so dass Edith nicht allgemein verkündete, sondern mir nur zuflüsterte, dass Charles sie am nächsten Dienstag zum Essen eingeladen hatte. Das konnte sie natürlich unmöglich für sich behalten.
3
Edith saß frisch gebadet in einer Wolke von Wohlgerüchen an ihrem Frisiertisch und machte sich daran, ihr Vorzeigegesicht aufzuschminken. Sie hatte ihrer Mutter nicht erzählt, mit wem sie essen ging, und überlegte, was wohl der Grund dafür war. Stella hätte sich zweifellos sehr gefreut – genau das hatte Edith wohl abgeschreckt. Auch war sie noch zu keinem Schluss gekommen, ob diese Geschichte, wie es in den Zeitschriften heißt, überhaupt eine Zukunft hatte.
Edith Lavery war durchaus keine Frau, die wahllos Männerbeziehungen einging, aber auch kein unbeschriebenes Blatt. Sie hatte im Laufe der Zeit mehrere Freunde gehabt. Nichts Ernstes, bis sie mit etwa dreiundzwanzig einen fünf Jahre
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